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Der treue Helfer

Germana


Der treue Helfer

1. März 1942

Wir wenden uns heute wiederum an die ungezählten Hörer des deutschen Rundfunks an der Front und in der Heimat oder, besser gesagt, an das ganze deutsche Volk, da es im Kriege wohl kaum jemanden gibt, der ohne Rundfunk auszukommen versucht. Nicht, als wenn dazu ein dringender aktueller Anlaß vorläge, sondern einfach aus der Überzeugung heraus, daß es hin und wieder not­wendig ist, die Grundlinien und bestimmenden Tendenzen unseres Rundfunkprogramms einer breiteren Öffentlichkeit mit allem Frei­mut darzulegen. Unsere ausgedehnte Beschäftigung mit den Pro­blemen des Rundfunks schon vor und in vermehrtem Umfange nach der Machtübernahme haben uns dahin belehrt, daß das Rundfunkprogramme weniger eine Sache der wenn auch noch so gut gemeinten Theorie als vielmehr eine Sache der Praxis ist und daß es kein Rundfunkprogramm gibt, das alle zufriedenstellt. Die Vorschläge, die bei uns seit Jahren aus weitesten Kreisen des Volkes zum Rundfunkprogramm einlaufen, verlieren schon dadurch viel an Wert, daß sie sich fast immer auf ganz verschiedene Teile des Programms beziehen und dadurch meistens gegenseitig aufheben. Dem einen wird zuviel ern 838v2112i ste, dem anderen zuviel heitere und entspannende Musik gesendet, der dritte will mehr, der vierte dagegen überhaupt keine Wortsendungen, der fünfte möchte abends um 10 Uhr Schluß machen, der sechste abends um 10 Uhr erst richtig anfangen. Allen kann man es also gar nicht recht machen.



Wesentlich einfacher wäre die Lösung dieses komplizierten

Problems, wenn wir wie im Frieden zwölf oder vierzehn Sender zur Verfügung hätten und die verschiedenen Aufgaben des Rundfunk­programms darauf verteilen könnten. Aber heute macht es schon große Schwierigkeiten, einen einzigen Sendebetrieb voll aufrecht­zuerhalten. Wir wissen ganz genau, daß viele Hörer mißmutig auf­seufzen, wenn abends das schönste Unterhaltungsprogramm durch unseren Nachrichtendienst in englischer Sprache unterbrochen wird. Aber daran können auch wir nichts ändern. Im Kriege gehen mehr noch als in normalen Zeiten die Interessen unserer Politik den wenn auch noch so berechtigten Interessen des privaten Lebens voran. Temperamentvolle Briefe und Eingaben von Liebhabern ernster Musik belehren uns dahin, daß ihnen, wie sie schildern;

die leichte und mehr unterhaltsame Musik allmählich zuviel werde. Einige sehen darin sogar Anzeichen eines allgemeinen Kultur­verfalls, dem mit aller Macht gesteuert werden müsse. Soldaten von der Front dagegen berichten uns, wie wohl es ihnen getan habe, nach einem schweren und harten Tageseinsatz abends im kalten und unwirtlichen Quartier wenigstens vom Deutschlandsender etwas, wie sie sagen, anständige, d. h. unterhaltsame und leichte Musik zu hören

Wer hat hier recht, wer unrecht? Zweifellos jeder auf seine Art! Aber es ist nicht zu bestreiten, daß die weitaus überwiegende Mehrzahl unseres Volkes, und zwar an der Front wie in der Heimat. heute durch den Krieg so hergenommen wird, daß sie abend» einfach nicht mehr die Konzentrationsfähigkeit besitzt, zwei Stunden und mehr ein anspruchsvolles Programm aufzunehmen. Man wende nicht ein, daß wir uns damit am Ernst des Krieges vorbeizudrücken versuchten. Wir brauchen im Rundfunk-Unter­haltungsprogramm gar nicht auf die Suche nach dem Ernst des Krieges zu gehen; er findet uns sowieso, und zwar mehr als uns lieb ist. Wenn man auch als geistiger Arbeiter am Tage 12 oder 14 Stunden oder noch mehr sich abgerackert hat und zur Nacht

todmüde noch etwas in einem Buch oder in einer Denkschrift herum­blättert, dann will man überhaupt keine Musik oder, wenn schon, eine solche hören, bei der man nicht aufzustehen braucht, d. h.» die zu nichts verpflichtet. Man tut damit weder Beethoven noch Bruckner ein Unrecht an, die man nur dadurch beleidigen könnte, daß man sich ihnen gähnend widmete. Unseren Soldaten und Ar­beitern wird es bestimmt nicht viel anders gehen. Man rede also hier nicht von Kulturverfall. Den höchsten Dienst tun wir der deutschen und abendländischen Kultur heute dadurch, daß wir den Krieg gewinnen. Und bei den schweren Belastungen, denen wir alle täglich durch ihn ausgesetzt sind, wirkt eine kleine, nette Auf­munterung, sie mag kommen woher auch immer, wie Balsam auf die Wunden, die der Alltag uns schlägt.

Wir möchten uns in diesem Zusammenhang auch ganz freimütig über die Frage äußern, ob der deutsche Rundfunk sogenannte Jazzmusik senden soll. Wenn man unter Jazzmusik eine Musik versteht, die unter gänzlicher Vernachlässigung oder gar Ver­höhnung des Melodischen nur auf Rhythmus ausgeht und bei der auch der Rhythmus sich vornehmlich durch ein übeltönendes Instrumentengequieke kundtut, das die Ohren beleidigt, dann können wir diese Frage nur rundweg verneinen. Diese sogenannte Musik ist hassenswert, weil sie in Wirklichkeit gar keine Musik ist, sondern nur eine talent- und einfallslose Spielerei mit Tönen. Andererseits darf aber auch nicht die Forderung erhoben werden, daß der Walzer unserer Großväter und Großmütter das Ende der musikalischen Entwicklung sein solle und alles, was darüber hinaus­geht, vom Bösen ist. Auch der Rhythmus ist ein Grundelement der Musik. Wir leben nicht in der Biedermeierzeit, sondern in einem Jahrhundert, dessen Melodie vom tausendfältigen Surren der Maschinen und Dröhnen der Motoren bestimmt wird. Auch unsere Kriegslieder von heute sind von einem anderen Tempo bestimmt als selbst die des Weltkrieges. Der Rundfunk muß auf diese Tatsache

gebührend Rücksicht nehmen, wenn er nicht Gefahr laufen will, beim Bratenrock stehenzubleiben. Wir wollen mit diesen Fest­stellungen niemandem zu nahe treten, fühlen uns aber andererseits verpflichtet, den berechtigten Forderungen unseres kämpfenden und arbeitenden Volkes auch in dieser Beziehung Rechnung zu tragen.

Selbstverständlich kommen überall gelegentliche Entgleisungen vor. Der deutsche Rundfunk muß von morgens in der Frühe bis in die Nacht hinein zum Volke sprechen. Der normale Mensch redet am Tage insgesamt vielleicht zwei oder drei Stunden, und auch da ist es nicht lauter Weisheit, was er von sich gibt. Er hat nur den Vorteil, daß ihm meistens nur wenige zuhören, seine Frau oder ein paar Kollegen. Der Rundfunk aber spricht immer zur breitesten Öffentlichkeit. Rutscht einem Sprecher oder einem Ansager auch nur einmal eine etwas unglückliche Redewendung heraus, dann regnet es gleich Telephonanrufe oder Beschwerde­briefe. Unser Schreibtisch steht sozusagen auf dem Wilhelmplatz, und jeder hat das Recht, uns bei der Arbeit über die Schultern zu schauen. Nicht, als wenn wir das scheuten; im Gegenteil, wir fühlen uns nur glücklich, so vor den Augen des ganzen Volkes schaffen zu dürfen. Der Herr Publikus aber soll nicht vergessen, daß auch der Rundfunk wie jedes andere Institut, das nicht so wie er vor der breitesten Öffentlichkeit steht, das Recht hat, gelegentlich einmal einen Fehler zu machen.

Es ist uns nun nach vielen Vorarbeiten gelungen, in den Haupt­sendestunden wieder zwei Programmfolgen auszustrahlen. Wir verzichten darauf, im einzelnen darzulegen, wieviel Mühe das gekostet hat. Wir sind also wieder in der glücklichen Lage, der einen und der anderen Seite etwas mehr gerecht zu werden. Der Deutschlandsender wird sich in Zukunft hauptsächlich der ernsten, gehobenen und klassischen Musik widmen, während die anderen Reichssender vor allem in den Abendstunden die leichtere Unter-

haltung pflegen sollen. Wir haben es ermöglicht, eine ganze Reihe maßgebender Musiker für die Durchführung dieser Aufgabe zu gewinnen. Zum Teil geben diese ihre bisherige eigenschöpferische Arbeit in großem Umfange auf, um sich fast ausschließlich der Betreuung des Rundfunkprogramms zu widmen. Sie sind dafür mit genauen Richtlinien versehen worden, und zwar sind diese dergestalt, daß allen berechtigten Wünschen nach Möglichkeit Rechnung getragen wird. Die Hörer des deutschen Rundfunks können davon überzeugt sein, daß wir genau wissen, worauf sie in dieser Zeit Anspruch erheben. Sie teilen uns das ja, Gott sei Dank! immer sehr freimütig mit, was wir ihnen nicht etwa übel­nehmen, wofür wir uns im Gegenteil nur bei ihnen bedanken können.

Wir stehen den Sorgen des Volkes nicht so fern, als daß wir nicht wüßten, wo uns alle der Schuh drückt. Und auch unsere Soldaten nehmen ja kein Blatt vor den Mund, sondern schreiben uns in ihren Feldpostbriefen oder erzählen uns bei ihren Besuchen genau, was sie wollen und was sie nicht wollen. Wir versuchen das alles in die Tat umzusetzen. Es werden dabei keine Mühe, kein Mittel und kein Geld gescheut. Auch die gute Laune ist kriegs­wichtig. Sie zu erhalten, und zwar gerade dann, wenn wir besonders schwere Belastungen zu ertragen haben, ist ein dringendes Erfor­dernis einer erfolgreichen Kriegführung an der Front und in der Heimat.

Einige gehen aber auch in ihren Wünschen zu weit. Kürzlich empörte sich z. B. ein Hörer des deutschen Rundfunks in einem Brief an uns darüber, daß in einem Rundfunkvortrag ein Offizier von der Nordfront einen gewissen Ausdruck aus dem "Götz von Berlichingen" gebraucht habe. Schreiber sei, wie er wörtlich darlegt, in der schauderhaften Lage gewesen, mit seiner Frau zusammen diesen Ausdruck zu vernehmen. "Daß ein Goethe", so fährt diese Zuschrift fort, "dieser in vieler Hinsicht zweifelhafte Charakter, in

eitler kokettierender Voreingenommenheit ihn in sein Stück auf­genommen hat, macht ihn in meinen Augen nicht einwandfrei. Ich möchte wohl wissen, welche Genugtuung das OKW. oder das Pro­pagandaministerium denen zu geben gedenken, die unvorbereitet Hörer dieser gemeinen, zweifellos charakteristischen Entgleisung vor der Öffentlichkeit in einem regierungsseitig überwachten Insti­tut geworden sind."

Auch solche Briefe laufen 'bei uns ein. Ihnen können wir leider keine Folge geben. Sollen wir etwa General Dietl bitten, seine verdienten Offiziere zur Überholung ihrer in der Wüstenei der Nordfront etwas barscher gewordenen Soldatensprache für einige Zeit in ein Institut für guten Ton zu schicken? Er würde uns wahr­scheinlich auslachen, und das mit Recht. Im Gegenteil, wir hören uns persönlich einen Bericht dieses großartigen Offiziers eine Stunde an und vernehmen dabei mit Stolz und Genugtuung, daß unsere Soldaten an der Nordfront trotz Schnee und Eis und ewiger Nacht tapfer und treu ihre Pflicht und mehr als das tun; und wenn er uns sagt, daß ihre einzige Verbindung mit der Heimat, von der sie seit vielen Monaten so viele tausend Kilometer getrennt leben und kämpfen, der deutsche Rundfunk sei, dann bestärkt uns das in dem Bestreben, noch mehr als bisher über die Ätherwellen das zu sen­den, was unsere Soldaten erfreut, was sie aufrichtet, was ihnen gelegentlichen Mißmut vertreibt und die gute Laune hebt.

Der Krieg ist eine rauhe Angelegenheit. Und wenn unsere Sol­daten in diesem Winter nicht standgehalten hätten, dann wäre vermutlich der Schreiber genannten Briefes mitsamt seiner Frau unvorbereitet nicht nur Hörer, sondern auch Zuschauer und Objekt ganz anderer Dinge geworden, als er sie hier schildert.

Bleibt also als Nutzanwendung: Allen kann es der deutsche Rundfunk leider nicht recht machen. Aber er soll es möglichst vielen recht machen, und zwar vor allem denen, die am meisten Anspruch darauf haben, das heißt unseren Soldaten und allen, die

schwer arbeiten müssen und dabei ihre ganze Kraft im Dienste des Vaterlandes verbrauchen. Sie sind dankbar für jede seiner genußreichen, unterhaltsamen Stunden. Ihnen ist er Freuden­spender, ein guter Freund und Kamerad in diesen schweren Zeiten, eine Aufmunterung und ein Ansporn, ein ständiger Begleiter durch die Fährnisse des Krieges. Belehrend und aufklärend soll er wirken in den großen Fragen der Zeit. Wenn die Stunde da ist, soll er die Herzen erheben und die Gewissen aufrütteln. Er soll den Feind attackieren, wo er sich zeigt. Er soll die Interessen des Vaterlandes verteidigen, wenn das notwendig erscheint. Den Ernst soll er ernst und die Heiterkeit heiter nehmen. Man kann nicht immer in Hochstimmung sein. Was wir nötig haben, das ist Vaterlandsliebe, Begeisterung und Pflichteifer für den Hausgebrauch. Die großen Stunden unserer Zeit melden sich schon von selbst, wir brauchen sie nicht ununterbrochen aufs neue zu beschwören. Daneben aber müssen wir auch den Alltag, der manchmal grau und alles andere

als schön ist, gestalten.

Und dabei soll uns der deutsche Rundfunk ein treuer Helfer

sein.


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