Die Entwicklung des "Reality TV"
Das Fernsehen erlebte im ausgehenden 20. Jahrhundert einige fundamentale
Veränderungen. Vor allem der Übergang zum dualen Rundfunksystem prägte die Medienund
entsprechend die TV-Entwicklung im deutschsprachigen Raum nachhaltig. In diesem
Kapitel wird auf die wesentlichen technischen Ereignisse eingegangen, welche die
Entwicklung des Formates "Reality TV" überhaupt erst ermöglicht und stark geprägt
haben. Dabei kann die Entwicklungsgeschichte des Fernsehens seit seinen Anfängen nicht
gesamthaft dokumentiert werden. Auch liegt der Anspruch nicht darin, eine vollständige
Erklärung für die Ausbildung dieses Genres zu liefern. Stattdessen steht eine
chronologische Schilderung im Vordergrund, die aufzeigen wird, dass Sendungen dieser
Gattung nicht wirklich neu sind; vielmehr hat sich das Verständnis dessen, was wir unter
dem Begriff des "Reality TV" zusammenfassen, deutlich verändert.
Der Hauptteil dieses Kapitels widmet sich dabei dem Zeitraum seit der Einführung des
dualen Rundfunksystems in den 80er Jahren und den daraus entstandenen Konsequenzen
für die Medienindustrie. Dabei wird auch ausführlich auf die zunehmende Ökonomisierung
bzw. Kapitalisierung der Medienindustrie eingegangen, da ökonomische Aspekte einen
erheblichen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung und Entwicklung der Programme
ausüben. So sind der zunehmende Konkurrenzdruck und die grosse Abhängigkeit vom
Werbemarkt zentrale Gründe für den immer grösser werdenden Innovationsdruck, welcher
den Übergang von "klassischen" zum "modernen" "Reality TV" nicht nur beeinflusste,
sondern stark förderte.
Abschliessend wird der Blick auf die oftmals angebrachte Kritik gelenkt, dass sich
Sendungen dieses Genres durch eine mangelhafte Qualität auszeichnen würden. Ein
Exkurs zum medialen Qualitätsverständnis soll aufzeigen, dass dieser Kritikpunkt nur
teilweise zutrifft - schliesslich ist die ökonomische Rentabilität einer erfolgreichen
"Reality TV" Sendung wie "Big Brother" von zentraler Bedeutung, weshalb zumindest von
einer "ökonomischen Qualität" gesprochen werden kann. Auf das veränderte
Qualitätsempfinden werden wir im dritten Kapitel näher eingehen.
Eine Zusammenfassung und ein Ausblick in die mögliche Zukunft des "Reality TV"
schliessen dieses Kapitel ab.
2.1 Von den Anfängen des Fernsehens bis zur Dualisierung des
Mediensystems
Obwohl hier nicht die gesamte Entwicklung des Mediums Fernsehen nachgezeichnet
werden kann, ist es, wie Stephanie Lücke (2002: 18) richtigerweise feststellt, unerlässlich,
einen Blick auf die Veränderungen der Fernsehlandschaft in den letzten Jahren zu werfen,
"um den Kontext zu verstehen, in dem "Reality TV" entstand und in dem sich [unter
anderem/R.K.] "Real Life Soaps" entwickelten." Der folgende Abschnitt soll vor allem die
gewichtige Rolle einiger technischer Aspekte dokumentieren.
2.1.1 Die Entstehung des "Live-Fernsehens"
Im Gegensatz zum Radio, welches eher als Nebeneffekt aus dem drahtlosen Sprechfunk
hervorging, war das Fernsehen "von allen Anfang an als Nachrichtenmedium konzipiert"
(Waltisch 1995: 25). Somit gehörte es bis Mitte der 30er Jahre zu den wichtigsten Zielen
der noch raren TV-Sendern, Live-Aussenaufnahmen - also nicht unter Studiobedingungen
hergestellte Produktionen - zu ermöglichen. Wie Waltisch bemerkt, wird deutlich, "dass
die Wurzeln von ,Reality TV' schon hier liegen, in der Frühzeit des Mediums Fernsehen"
(Walitsch 1995: 25). Insofern ist die Bezeichnung "Reality TV" für diese Live-Sendungen
beinahe tautologischer Natur - so wird doch dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben, bei
einem realen Geschehen zum Zeitpunkt seines Vollzuges vollständig involviert zu sein. Es
ist also unangebracht, den Begriff dieses Genres nur auf das einzuschränken, was heute
unter "Reality" TV verstanden wird.
Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, Realität in Echtzeit
zu transportieren. Diese Bestrebungen haben zahlreiche technische Lösungen
hervorgebracht, die massgeblich zur Entwicklung des "Reality TV" beigetragen haben.
Neben der Einführung des dualen Rundfunksystems hat vor allem di 22522g622w e zunehmende
Verbreitung von Aufzeichnungstechniken die Chancen massgeblich erhöht, dass
eigentliche "Zufallsaufnahmen" gelingen (vgl. Jonas/Neuberger 1996: 188). Zu den
historisch ersten Formen von "Reality TV" zählen somit Live-Berichte von politischen
Versammlungen und Sportübertragungen, namentlich den olympischen Spielen in Berlin
im Jahre 1931. Bereits hier stellt sich die Frage, in wie weit das Kriterium der
Regieeingriffe in einer solchen, eher offenen Definition von "Reality TV" berücksichtigt
wurde. So ist es doch von hohem Stellenwert, in wie weit beim Zustandekommen von
Bildern aus der Realität eingegriffen wurde und falls ja, in welchem Ausmass. Die weitere
historische Entwicklungen bringen danach nach und nach neue Formen von "Reality TV"
hervor, "in denen mehr und mehr Regieeingriffe vorgenommen werden, in denen also der
Zufall, dem das frühe Live-Fernsehen noch vollkommen hilflos ausgeliefert ist, mehr und
mehr ausgeschlossen werden soll" (Walitsch 1995: 27).
2.1.2 Die Wandlung des TV-Programms bis zur Dualisierung der Medienindustrie
Bereits kurz nach Gründung der ersten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in
Deutschland hat sich das Programmangebot gewandelt. Schon ab 1953 bot die ARD
gemäss offiziellem Programmauftrag neben reiner Information auch Bildung und
Unterhaltung an (vgl. Lücke 2002: 18). Zuvor standen die Rezipienten hauptsächlich als
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger im Vordergrund, die sich mit der Nutzung des
Fernsehens kulturell, politisch und gesellschaftlich weiterbilden sollten. Wie Herwig
Walitsch aufzeigte, stand ursprünglich vor allem die Informationsfunktion im Vordergrund
(vgl. Walitsch 1995: 25). Erst im Laufe der Zeit akzeptierten die Programmveranstalter,
"dass der Fernseher von Anfang an ein Unterhaltungsmedium war" (Hammerstein, zitiert
nach Lücke 2002: 18). Mit der zunehmenden Verbreitung veränderte sich also auch die
primäre Funktion.
2.1.3 Die 50er und 60er Jahre
In den 50er und 60er Jahren stand die "grosse musikalische Abendunterhaltung noch im
Mittelpunkt der Fernsehunterhaltung, die nach dem Muster der bunten Abende gestaltet
waren" (Mikos 2000a: 162). Dieses Format, welches mit der Sendung "Ein Kessel Buntes"
im Fernsehen der DDR noch bis zu deren Ende erfolgreich war, fiel mit dem Aufkommen
von ersten Rate- und Gewinnspielen zusammen. Durch die Konkurrenz des neuen
"Zweiten Deutschen Fernsehens ZDF" bekam die Showunterhaltung grössere Bedeutung
zugesprochen (vgl. Mikos 2000a: 162). Die 1965 erschienene verhaltens- und
leistungsorientierte Spielshow "Spiel ohne Grenzen" (ein Import aus Italien) markierte die
Entstehung einer ganzen Reihe dieser neuartigen Spielformate. Mit der Show "Der goldene
Schuss" startete das ZDF schliesslich die erste interaktive Fernsehshow in Deutschland.
Ausserdem gingen weitere Shows mit "Quizmastern" wie Rudi Carrell oder Hans
Rosenthal auf Sendung.
Daneben war in den Familienserien der 50er Jahre der spätere Trend hin zu einer
"authentischen" Darstellung und einer stärkeren lebensweltlichen Orientierung noch nicht
ersichtlich (vgl. Mikos 2000a: 169). So erschien das Leben in Serien wie "Unsere
Nachbarn heute Abend" oder der "Familie Hesselbach" durch "die dramaturgische
Verdichtung als etwas Besonderes" (Mikos 2000a 169).
2.1.4 Die 70er und frühen 80er Jahre
Auch das Fernsehen der 70er und 80er Jahre war bis zum Ende der 70er Jahre mehrheitlich
durch ein kulturell eher anspruchsvolles Programm geprägt und verstand sich noch immer
hautsächlich als ein "Medium zur Bildung". Wie im letzten Unterkapitel erwähnt, kamen
unterhaltende Formate zwar durchaus vor, jedoch standen dahinter meist pädagogische
Bemühungen (vgl. Mikos 2000a: 169f).
Die bereits ausgemachten Trends waren aber auch in diesen Jahren weiter zu beobachten.
Bereits zu dieser Zeit waren solche Formate jedoch nicht unproblematisch. So war
beispielsweise die Show "Wünsch Dir was" mit Vivi Bach und Dietmar Schönherr stark
umstritten, da sich die Kandidaten in durchaus gefährlichen Spielen behaupten mussten.
In den frühen 80er Jahren wurde mit der Produktion der "Lindenstrasse" im fiktionalen
Bereich erstmals der Anspruch erhoben, mehr Lebensnähe zu bieten (vgl. Mikos 2000a
165). Dennoch lässt sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht von einem richtigen
"Einbruch der Realität" in das Fernsehen sprechen.
2.2 Die Dualisierung der Medienindustrie und die zunehmende
Kapitalisierung der Medienunternehmen
Die TV-Programme haben sich also schon vor dem Start privater Fernsehsender wie SAT1
im Januar bzw. RTL im August des Jahres 1985 gewandelt. Den deutlichsten und
grundlegendsten Wandel in der Fernsehlandschaft stellt aber das Konzept des "dualen
Rundfunksystems" dar, nach dessen Einführung sich viele neue Genres und Trends
etablieren konnten (vgl. Lücke 2002: 18). Der Hauptunterschied zur Zeit vor der
Einführung des Privatfernsehens wird mit den Begriffen "Kommerzialisierung" und
"Ökonomisierung" der Medienindustrie beschrieben (vgl. Lücke 2002.: 18), weshalb an
dieser Stelle ein Überblick über die Ursachen und Folgen dieses Prozesses gegeben werden
soll. Dabei soll sich das Hauptaugenmerk weniger auf die Zeit der Einführung des dualen
Mediensystems richten, sondern den Prozess der Kapitalisierung aus heutiger Sicht
darstellen - denn die Folgen dieser Entwicklung werden auch die Produktionen der
kommenden Jahre stark beeinflussen. Und dies für das Genre des "Reality TV" wohl am
deutlichsten.
2.2.1 Die Merkmale der Kapitalisierung
Die Medienunternehmen - ob öffentlich oder privat finanziert - stehen seit der Einführung
des dualen Rundfunksystems zunehmend im Spannungsverhältnis zwischen dem Dienst an
der Öffentlichkeit und der Profitmaximierung im Interesse der Eigentümer. Die Medien (-
Unternehmen) stehen gegenseitig in einem Konkurrenzverhältnis und verfolgen das Ziel,
möglichst wirtschaftlich, effizient und vor allem Profit maximierend zu handeln. Die
journalistische Verantwortlichkeit sieht sich mehr und mehr konfrontiert mit jener
gegenüber den Märkten. Publizistische Ziele wie Kritik, Aufklärung und Kontrolle werden
also zunehmend durch marktorientierte ersetzt. In der Folge nimmt die an
Rezipientenpräferenzen ausgerichtete Berichterstattung zu und ersetzt schliesslich die nicht
gewinnorientierten Erfolgsmassstäbe durch den Shareholder-value (vgl. Meier 2003a: 1f.
und Heinrich 2001:160). Knoche spricht in diesem Zusammenhang von einer weiteren
Phase der fortschreitenden "Kapitalisierung der Medienindustrie" und einer radikalen
Unterordnung des gesamten Mediensystems unter die allgemeinen
Kapitalverwertungsbedingungen, die mit den Stichworten Profitmaximierung, Konkurrenz,
Akkumulations- und Konzentrationszwang beschrieben werden können (vgl. Knoche
2001b: 177f.). Ein weiteres Kennzeichen dieses Kapitalisierungsschubes ist die
Kapitalisierung jener Sektoren der Medienindustrie, die bislang in Europa als staatlich
bzw. öffentlich-rechtlich organisierte Bereiche noch nicht der direkten Kapitalverwertung
zugänglich waren (vgl. Knoche 2001b: 178f.).
Diese fortschreitende Kapitalisierung geht mit den deutlich feststellbaren Trends, der
Privatisierung, Deregulierung und Kommerzialisierung des Mediensystems einher. Dabei
steht die Medienpolitik des politischen Systems begünstigend für diese Entwicklung, da
diese mehr und mehr zu einer eigentlichen "Medienwirtschaftspolitik" verkommt (Knoche
2001b: 178) und in der Folge die Durchdringung von Medienindustrie und Volkswirtschaft
fördert.
Im Gegensatz zu den Jahren vor der Einführung des dualen Rundfunksystems, als "die
Zuschauenden [...] vorrangig als Staatsbürger und -bürgerinnen betrachtet [wurden/R.K.],
die sich durch die Nutzung des Fernsehens kulturell, politisch und in gesellschaftlichen
Fragen bildeten" (Lücke 2002: 18), stehen die Rezipienten nicht erst seit dem 21.
Jahrhundert als eigentliche (Medien-) Konsumenten im Vordergrund der TV-Sendern. Das
nicht durch Gebühren finanzierte Fernsehen wurde dadurch zur "Vermittlungsinstanz
zwischen der werbetreibenden Industrie und den potenziellen Konsumenten, [...] was in der
Programmstruktur zur Folge hatte, dass Sendungseinheiten sich zeitlich stärker an den
Werbeunterbrechungen orientierten" (Lücke 2002: 18f).
2.2.2 Ursachen der Kapitalisierung
Aus politökonomischer Perspektive wird dieser Prozess im Rahmen des gesamten
kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems betrachtet und erklärt. Dieser
Ansatz sieht die folgenden Faktoren als grundsätzlich kennzeichnend für die kapitalistische
Produktionsweise, d.h. nicht spezifisch auf das Mediensystem angewandt:
- Die spezifische Form des Kapitalverhältnisses: das rechtlich geschützte
Privateigentum an den Produktionsmitteln sowie die daraus abgeleitete
Verfügungsmacht über die abhängig Arbeitenden (Arbeitskräfte) sowie das
Recht der alleinigen Bestimmung der Produktionsziele und der Verwertung
der produzierten Waren durch das Kapital
- Die spezifische Form der Produktionsverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse
von Kapital und Arbeit
- Die spezifische Form kapitalistischer Mehrwertproduktion durch die
Aneignung des durch Mehrarbeit der (abhängigen) Arbeiterschaft
produzierten Mehrwerts durch das Kapital
- Die spezifische Form des Zusammenhangs von Produktions-, Verwertungsund
Profitzwang mit Konkurrenz, Akkumulation, Konzentration und
Zentralisation des Kapitals
- Die spezifische Form kapitalistischer Herrschaftssicherung durch das
Zusammenwirken von Kapitaleignern und Staat
- Die spezifische Form der Kapitalisierung der Gesellschaft durch den
Zusammenhang von Produktions- und Reproduktionsprozessen der
Menschen mit der Ungleichheit der Güter- und Einkommensverteilung und
der damit verbundenen Ungleichheit in materieller, politischer, kultureller
und sozialer Hinsicht (vgl. Knoche 2001b: 185f.).
Werden alle diese Faktoren berücksichtigt, geht deutlich hervor, weshalb alle Sektoren der
privatwirtschaftlichen (Medien-) Industrie in prinzipiell gleicher Weise einem "ständig
fortschreitenden Kapitalisierungsprozess unterworfen sind" (Knoche 2001b: 186). Denn
diese Entwicklung zum kapitalistischen Wirtschaftssystem ist in hohem Masse von einer
strukturellen Überakkumulation des Kapitals bestimmt, d.h., dass aufgrund des
zunehmenden Konkurrenzdruckes grundsätzlich mehr produziert als (mit entsprechender
Profitrate) abgesetzt wird (vgl. Knoche 2001b: 187f.). Das strategische Handeln der
Unternehmen hat folglich zum Ziel, dieser potenziellen Krisengefahr zu begegnen und mit
möglichen Massnahmen wie der Senkung des Gehaltsniveaus oder wachsendem
Sparzwang (präventiv) zu reagieren.
Die Kapitalisierung der Medienindustrie stellt für die (Medien-) Unternehmen eine
Möglichkeit dar, ihre mit Überakkumulation und Konkurrenzdruck verbundenen
Kapitalverwertungsprobleme "durch [die/R.K.] Anlage überschüssigen Kapitals in neuen
privatisierten Mediensektoren bzw. in neuen Medienmärkten oder in
Medienproduktinnovationen [...] zu lösen" (Knoche 2001b: 187f). Des Weiteren sehen
Unternehmen anderer industrieller Sektoren in der Kapitalisierung der Medienindustrie ein
Mittel, durch Werbung und PR über die Medien oder gar durch Kapitalanlagen in der
Medienindustrie ihrem eigenen Kapitalverwertungsproblem zu begegnen (vgl. Knoche
2001b: 188). Auftrieb gibt dieser Entwicklung zudem der Umstand, dass das Kapital auch
im Mediensektor zunehmend von den Nationalstaaten befreit wird und dadurch
Internationalisierungs- bzw. Globalisierungsprozesse weiter gefördert werden.
2.2.3 Folgen der Kapitalisierung
Viele mediennahe Industriezweige (wie beispielsweise der Infrastruktursektor) haben
diesen Kapitalisierungsprozess schon seit einiger Zeit vollzogen. Neuartiger und vor allem
aus publizistischer Perspektive höchst problematisch sind die Kapitalisierungsprozesse in
jenen Mediensektoren, "in denen die Kapitalverwertung mit programmlicher/inhaltlicher
Produktion bzw. Vervielfältigung betrieben wird" (Knoche 2001b: 189). Diese
Entwicklung einer zunehmenden Kommerzialisierung der Medieninhaltproduktion als
Warenproduktion und der beschriebenen Kapitalisierung der Medienindustrie im
Allgemeinen führt dazu, "dass die Medienindustrie noch stärker als bisher dem
allgemeinen und medienspezifischen Struktur- und Funktionswandel von Wirtschaft und
Gesellschaft gemäss den Kapitalisierungsinteressen unterzogen wird und diesen
gleichzeitig beeinflusst" (Knoche 2001b: 190). Die Folgen dieses Prozesses zeigen sich
insbesondere in der Gestaltung der Medieninhalte (also auch im Bereich des "Reality
TV"), dem Ausbau der Werbefunktion der Medien (-Unternehmen), der Verstärkung
internationaler Kapital- und Marktkonzentration, der Ausbreitung struktureller
Arbeitslosigkeit (auch) im Mediensektor, der Ausrichtung staatlicher Medienpolitik an
Kapitalinteressen und schliesslich in der dadurch geförderten Legitimation und
Herrschaftssicherung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems (vgl.
Knoche 2001b: 191).
2.2.4 Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Kapitalisierung
Mit der Kapitalisierung ist ein weltweiter Prozess gekennzeichnet, der sich nach und nach
auch auf die Medienindustrie und damit auch auf die TV-Sender auswirkt und so noch
umfassender als bisher die kapitalistische Produktionsweise in das gesamtwirtschaftliche
System eingliedert. Begünstigt wurde dieser Prozess vor allem durch die Einführung des
dualen Rundfunksystems und der damit initiierten Konkurrenz zwischen öffentlichrechtlichen
und privat-kommerziellen Sendern (vgl. Mikos 2000a: 161). Dabei folgt die
Kapitalisierung im Mediensektor "den Gesetzmässigkeiten, die auch für andere
Industriezweige wirksam sind, und sie erfüllt eine nicht unwesentliche Kapital- und
Warenzirkulationsfunktion im Rahmen der Problemlösungsstrategien der gesamten
Wirtschaft über ausgeprägte Werbe-, Marketing und PR-Massnahmen" (Knoche 2001b:
191). Die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung unterscheiden sich deshalb nicht
prinzipiell von jenen anderer Wirtschaftszweige.
Abschliessend bleibt festzuhalten, dass es aus demokratietheoretischer Sicht höchst
fraglich ist, ob mit diesem Prozess die wünschbare Funktionserfüllung der Medienindustrie
bzw. -produktion einhergehen kann.
2.3 Auswirkungen der Dualisierung und Kapitalisierung der
Medienindustrie auf das Fernsehen und damit auf die Entwicklung
des "Reality TV" seit den späten 80er Jahren
In diesem Abschnitt werden jene neuen Programmformen vorgestellt, welche sich
abgesehen von den veränderten Sendungsinhalten seit den 80er Jahren entwickelt hatten.
Neben einer allgemeinen Beschreibung sollen auch Beispiele aus dem deutschen und
Schweizer Fernsehen zur Sprache kommen, welche diese Entwicklung sehr gut
dokumentieren. Im Vordergrund steht dabei die Absicht, möglichst deutlich die
Veränderungen der Programminhalte und Sendungsformen aufzuzeigen, um damit einen
Erklärungsansatz für die Entstehung des "Reality TV" geben zu können.
2.3.1 Neue Sendungsinhalte und Programmformen
Wie bereits erwähnt, wurde die Programmplanung des klassischen öffentlich-rechtlichen
Fernsehens mit ihrem kulturellen und gesellschaftspolitischen Anspruch in der Zeit nach
der Einführung des dualen Rundfunksystems durch eine an Kosten und Gewinn orientierte
Strategie ersetzt, wodurch der Prozess der Kapitalisierung bereits im vollen Gange war.
Nicht nur die Ausweitung der Programmangebote auf die 24-stündige Ausstrahlung führte
zu einem rapide wachsenden Programmbedarf, sondern auch die stetig wachsende Zahl an
Sendeanstalten (vgl. Bleicher 2000: 205). Notwendigerweise musste also auch das
Themenspektrum erweitert werden, um bisher unberücksichtigte Stoffe zu finden, die das
knapp gewordene Gut der Aufmerksamkeit auf das jeweilige (eigene) Sendungsangebot
lenken sollten.
2.3.2 Die TV-Landschaft nach der Dualisierung
Im Kampf um Zuschauer und die werbetreibende Industrie setzten die TV-Sender kurz
nach der Einführung des dualen Rundfunksystems auf beliebte Unterhaltungsware, "von
importierten und eigenproduzierten Serien über Sport- und Talksendungen aller Art bis hin
zu Game- und Quizshows" (Mikos 2000a: 161). Die bis anhin stabile Ordnung im
Fernsehen ist nach der Dualisierung einer neuen Unübersichtlichkeit gewichen, "die als
Entgrenzung herkömmlicher Programmformen und Differenzierung des Fernsehangebotes
beschrieben werden kann" (Jonas/Neuberger 1996: 187). Wie bereits dargestellt,
veränderte sich auch das Verständnis der Zuschauer, die nun nicht mehr als Staatsbürger,
wie zu Zeiten des öffentlich-rechtlichen Monopols, sondern vor allem als Konsumenten
angesprochen werden. Während die Privatsender sich täglich wiederholende, zeitlich und
inhaltlich gleich bleibende Programmangebote einführten, um den Rezipienten die
Orientierung zu erleichtern, richteten die öffentlich-rechtlichen Sender täglich wechselnde
Programmstrukturen ein (vgl. Lücke 2002: 19). Zusätzlich zu beobachten war die Tendenz,
durch bestimmte Programmangebote gezielt die für die Werbeindustrie wichtigen
Zielgruppen anzusprechen.
Daneben begannen sich auch bestehende Programmformen zu verändern. Vor allem die
Nachrichtensendungen und -magazine der neuen privaten Konkurrenz zeichneten sich
durch einen grösseren Bezug zum Alltag der Zuschauer aus, neben der aus den öffentlich19
rechtlichen Sendern bereits gut bekannten politischen Information: "In Teilbereichen der
privaten Programme [...] zeichnet sich damit eine neue Strategie der qualitativen
Programmoptimierung nach emotionalen Wirkungsfaktoren ab, die sich psychologische
Regeln der Aufmerksamkeitsverschiebung zunutze machen" (Krüger, zitiert nach Lücke
2002: 19). Dieser verstärkte Einsatz von dramatisierenden, emotionalen Elementen in den
Nachrichtensendungen stieg mit der Zeit auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern an.
"Durch die Ansprache der Zuschauer als Konsumenten geht es [somit/R.K] um eine
stärkere lebensweltliche Orientierung des Mediums" (Mikos 2000a: 166). Generell
verschoben sich die Themenbereiche mehr und mehr hin zu unpolitischeren Themen. Auch
im Bereich des bis anhin sehr erfolgreichen Dokumentarfilms (samt seiner
Bildungsfunktion) war ein signifikanter Bedeutungsverlust seit den 80er Jahren
festzustellen; sie werden beispielsweise von Privatsendern kaum mehr in Auftrag gegeben
(vgl. Lücke 2002: 20). Somit ist auch bei den Dokumentationen "der Trend zur Alltagswelt
der ZuschauerInnen ersichtlich" (Lücke 2002: 20).
2.4 Neue Programmformen der 90er Jahre: Das "klassische Reality
TV" und andere Genres
Der Begriff des "Reality TV" wurde, wie viele andere in der medialen Entwicklung, in den
USA geprägt. Seit 1988 erlebte das Genre einen regelrechten Boom. Ein US-Journalist
behauptete gar, dass sich ohne "Reality TV" in den USA kein erfolgreiches Programm
mehr machen liesse (vgl. Lücke 2002: 26). Allein die drei grossen Networks füllen
dreizehn Stunden ihrer Sendezeit mit unterschiedlichen Sendungen dieses Genres (vgl.
Wegener 1994: 18). Die Erklärung für diese Entwicklung ist, ausser in den Veränderungen
der Gesellschaft im allgemeinen, in den Veränderungen der Nachrichtensendungen zu
suchen, die bereits in den frühen 80er Jahren eingesetzt hat. Aufgrund des starken
Konkurrenzkampfes zwischen den Sendern mussten auch diese Informationssendungen um
möglichst hohe Quoten kämpfen, um ein bestimmtes Mindestmass an Rentabilität zu
erreichen. Wie bereits erläutert, führte "dieser Druck [...] zu kürzeren, plakativeren
Beiträgen, um das Publikum nicht zu langweilen, und zur verstärkt emotionalen
Darstellung von Berichten sowie zu einer Verschiebung der Auswahl-Kriterien für eine
Meldung" (Lücke 2002: 26).
Wegener (1994: 18) sieht in den extrem niedrigen Produktionskosten für "Reality TV" in
den USA einen weiteren Grund für den plötzlichen Erfolg. Für die Produzenten in Europa
ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit den Amerikanern,
um so den eigenen Materialfundus zu erweitern (vgl. Wegener 1994: 18f.). Die meisten
Deutschen Sendungen des "klassischen "Reality TV" haben deshalb ihre Vorbilder in den
USA.
Walitsch (1995: 30) sucht den Entstehungsgrund des "Reality TV" in der massiven
Verbreitung der technologischen Entwicklung: "Die Magnetbandaufzeichnung führt zu
einer progressiv gesteigerten Kamerapräsenz, diese wiederum zu einer Inflation der Bilder.
Indem die elektronische Kamera auch an den Laien wiedergegeben wird, erhöht sich diese
Inflation der Bilder noch einmal um ein Vielfaches." Der zentrale Aspekt ist jedoch, das
sich "damit die Wahrscheinlichkeit, dass zum Zeitpunkt eines Unglückfalles eine
Videokamera anwesend ist, die das Geschehen aufnimmt [enorm ansteigt/R.K.]." Dieses
Material bildete für die ersten Formen des "Reality TV" die Grundlage im engeren Sinne.
An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass Fernsehjournalisten in den USA
immer häufiger direkt mit Polizeidienststellen und FBI-Agenten zusammen arbeiten, um
deren Vorgehen gegen Verdächtige an Ort und Stelle zu filmen und so nicht (mehr) von
privatem Filmmaterial abhängig sind (vgl. Wegener 1994: 19).
Während sich "Reality TV" in den USA bereits vor einigen Jahren fest etabliert hatte, hatte
das Genre erst zu Beginn der 90er Jahre auch in Europa den Weg in die Programme
gefunden. Interessant ist die Tatsache, dass sich "vornehmlich die privaten Sender mit der
Produktion von Sendungen nach US-Vorbildern [beschäftigten/R.K.]" (Lücke 2002: 27).
Der Grund dafür dürfte auch hier in der zunehmenden Kapitalabhängigkeit der TV-Sender
zu suchen sein, die im Kampf um die höchste Einschaltquote gezwungenermassen auf neue
und innovative Produktionen setzen mussten. Diese Sendungen wurden schon damals -
zumindest teilweise - den spezifischen nationalen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten
der verschiedenen Länder Europas angepasst - andernfalls hätte das Publikum Sendungen
dieser Art ohne Entschärfung wohl nicht akzeptiert (vgl. Lücke 2002: 27).
2.4.1 Klassisches "Reality TV" im deutschen Fernsehen: Einige Beispiele
Die erste deutsche "Reality TV"- Sendung, welche sogar die Entwicklung dieses Genres in
den USA beeinflusst hat (vgl. Wegener 1994: 21), war "Aktenzeichen XY...ungelöst" und
damit Wegweiser und Vorläufer der heutigen Formen von "Reality TV". Ziel der Sendung
war die authentische Darstellung von Kriminaldelikten und deren Aufklärung durch die
Mithilfe der Zuschauer. Selbst nach 30 Jahren erreichte die Sendung im Jahre 1997 noch
immer einen Marktanteil von rund 25 Prozent oder 7 Millionen Zuschauer (vgl. Lücke
Am 6. Februar 1992 nahm RTL seine erste Reality-Show (Selbstbezeichnung) ins
Programm auf. In "Notruf" werden Menschen vorgestellt, "die - oft unter Einsatz ihres
eigenen Lebens - das Leben anderer retten [...]" (Wegener 1994: 22). Im Gegensatz zu
anderen "Reality TV" - Formaten arbeitet Notruf allerdings nicht mit originalen
Filmdokumenten. Eine Besonderheit ist, dass die Beteiligten die erlebten Ereignisse selbst
nachstellen.
Mit "Retter" stieg SAT1 im selben Jahr in die "Reality TV"- Szene ein (vgl. Wegener
1994: 23). Auch diese Sendung zeigte durchwegs Menschen in Gefahr, sei es in Unfällen,
Katastrophen oder mutigen Rettungseinsätzen. Wegen der Ausstrahlung von
Originalaufnahmen stand diese Sendung allerdings von Anfang an in der öffentlichen
Kritik.
Im Jahre 1997 "begeisterte das Schweizer Fernsehen SF1 die Fernsehzuschauer mit LiveÜbertragungen
aus dem Arbeitsalltag der Polizei oder Live-Begleitungen eines Tages im
Gefängnis" (Lücke 2002: 29). Mit dieser speziellen Art von eher unspektakulärem "Reality
TV", die dem Konzept von Walitsch (1995: 25) am nächsten kommt, wurden rund
50Prozent der Zuschauer erreicht.
Die deutschsprachigen Fernsehsender strahlten in den 90er Jahren viele weitere "klassische
Reality TV"- Sendungen aus, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben (vgl.
Walitsch 1995: 29). Dennoch wurden sie im Laufe der Zeit von den
Medienwissenschaftlern allesamt zu diesem Genre gezählt. Hier einige weitere Beispiele -
ohne den Anspruch auf Vollständigkeit:
Verzeih mir" (RTL, 1992-1994), "Nur die Liebe zählt" (RTL, 1993-1994, danach SAT1),
Rache ist süss" (SAT1, seit 1998), "Vorsicht Kamera" (SAT1, 1997-1999), "Strassen
Flirt" (PRO7, 1993-1994), "Herzblatt" (ARD, seit 1988), "Geld oder Liebe" (ARD, seit
Die dümmsten Verbrecher / Autofahrer / Angestellten / Pannen / Hochzeiten /
Männer / Frauen /... der Welt" (RTL2, seit 1999), "Geld für Leben" (TM3, 2000), "Die
Fussbroichs" (WDR, seit 1990), "Das wahre Leben" (Premiere, 1994).
Neben diesem "klassischen" "Reality TV" entwickelten sich einige Formate, die sich in
verschiedenen "verwandten" Genres zusammenfassen lassen (und in der Literatur teilweise
zum "Reality TV" gezählt werden, z.B. Mikos 2000a: 168). Die folgenden Unterkapitel
fassen die wichtigsten Gattungen überblicksartig zusammen.
2.4.2 Daily Talks
Eine Möglichkeit, mit möglichst geringem finanziellem Aufwand und alltagsnahen
Themen die Sendezeit zu füllen, bieten die "in der non-fiktionalen Unterhaltung
zugeordneten ,Daily Talks'" (Lücke 2002: 21). Diese täglichen, stark emotionalen und
intimen Sendungen erscheinen den Rezipienten oft als "Lebenshilfe" und übernehmen
"Ratgeberfunktionen". Ausserdem bestätigen sie den Zuschauer in seinem eigenen, nicht
normabweichenden und gesellschaftskonformen Verhalten (vgl. Lücke 2002:21). Daily
Talks prägen seit Mitte der 90er Jahre das TV-Programm des Vor- und Nachmittags - fast
ausschliesslich in den Privatsendern.
2.4.3 Daily Soaps
Mit der "Lindenstrasse", die im Jahre 1985 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, begann
das Zeitalter der ersten "realitätsnahen fiktionalen Serie" (Lücke 2002: 21). Mit dieser
Produktion wurde, ähnlich wie bei der Vermischung von Information und Unterhaltung,
ein neues Genre geschaffen. Die Daily Soaps waren geboren. Lücke (2002: 21) spricht in
diesem Zusammenhang von einer "Öffnung fiktionaler Programmformen für die Realität".
Die Lindenstrasse bildete den Grundstein für die Anfang der 90er Jahre in Deutschland
eingeführten täglichen "Soap Operas". Die immer wieder wechselnden
Beziehungskonstellationen, welche den Hauptbestandteil der Daily Soaps ausmachen,
garantieren gute Zuschauerzahlen (vor allem bei den jungen Zuschauern) und formen mit
den niedrigen Produktionskosten ein optimales Werbeumfeld für die TV-Sender.
2.4.4 Docu Soaps
Im Gegensatz zu den meisten anderen Formaten wurde die "Doku Soap" in England
erfunden (vgl. Wolf 2001: 114). Das Spezielle dieses Genres macht die "bewusst gesuchte
Verbindung von dokumentarischem Erzählen und serieller Dramaturgie, wie sie in der
fiktiven Fernsehserie erfunden wurde [aus/R.K]" (Wolf 2001: 115). Anders als der Name
vermuten lassen würde, setzt die "Doku Soap" auf Emotionen und auf die Identifikation
mit den Personen. Dieser Trend einer "Hybridisierung" (Bleicher, zitiert nach Lücke 2002:
22) wird im wesentlichen ein Hauptmerkmal des "modernen" "Reality TV", wie im
folgenden Überkapitel gezeigt wird.
2.4.5 Game Shows
Dieses Genre stellt "ein weiteres Standbein v.a. der privaten Sender dar, um mit wenig
finanziellem Einsatz das Programm auszufüllen" (Lücke 2002: 22). Im Gegensatz zu den
"traditionellen" Quizshows, bei denen oft ein hohes Mass an Allgemeinwissen gefordert
ist, zählen in Game Shows vielmehr körperliche Geschicklichkeit oder spezielle
kommunikative und soziale Fähigkeiten (vgl. Lücke 2002: 22).
Ein spezieller Typ der Game Shows stellt das als "Dauerwerbesendung" deklarierte Format
dar ("Der Preis ist heiss", RTL), bei welchem um bestimmte Konsumartikel gespielt wird
und diese - während dem Spiel - dem Publikum vorgestellt werden. Auf diese Art und
Weise entsteht eine "raffinierte Symbiose aus den Genres Game Show und Werbung"
(Lücke 2002: 22). Allerdings sind Sendungen dieser Form heute nicht mehr häufig in den
TV-Programmen zu finden.
2.5 Fernsehen im 21. Jahrhundert: Die Wandlung zum "modernen"
"Reality TV"
Wie gezeigt werden konnte, ist die Entwicklung der TV-Inhalte extrem vielseitig verlaufen
und hat einige neue und immer wieder spektakuläre Programmformen hervorgebracht.
"Reality TV" gehört bestimmt dazu. Auch in diesem Bereich kann inzwischen (erneut)
eine deutliche Weiterentwicklung und Veränderung des Begriffes festgestellt werden. Als
das Genre im Jahre 1992 nach Europa importiert wurde, war die Definition dieser
neuartigen Sendungen wie bereits erwähnt zunächst sehr eindeutig (vgl. Lücke 2002: 48):
Mit Originalaufnahmen oder in nachgestellten Szenen wurde versucht, in durch einen
Moderator präsentierten Einzelgeschichten negative oder gewaltzentrierte Abweichungen
vom Alltag darzustellen (vgl. Lücke 2002: 48) - das "klassische" "Reality TV".
Da einerseits Elemente des "Reality TV" zunehmend Einzug in verwandte Genres fanden
und andererseits immer neuere Sendungen auftauchten, die das feste Gattungsschema
zunehmend durcheinander brachten (vgl. Lücke 2002: 48), wurden die Grenzen des Genres
nach und nach erweitert. Diese Sendungen des "performativen Realitätsfernsehens", des
"modernen" "Reality TV", entziehen sich somit solchen "einfacheren Kategorisierungen
und Beschreibungen. Denn die Formate verwischen nicht nur die Grenzen zwischen
Realität und Fiktion, Authentizität und Inszenierung, sondern nehmen auch Elemente
verschiedener Genres auf [...]" (Mikos 2000a: 171). Dabei bilden die sich verschärfende
Konkurrenz auf diesem Feld und das nachlassende Interesse an herkömmlichen Formaten
zweifellos die wichtigsten strukturellen Merkmale (vgl. Willems 2000: 23). So verlieren
beispielsweise die täglichen Talkshows in den Programmen der privaten Sender
kontinuierlich an Zuschauern. Die inhaltlichen Folgen dieser Entwicklung sind klar: "Im
Kampf um die Aufmerksamkeit und die Bindung des Publikums wird auf Innovationen,
Reizverstärkungen, Sensation und, wenn noch möglich, Grenzüberschreitungen gesetzt"
(Willems 2000: 41). Crossmediale Zusammenarbeit in einem multimedialen Mix aus
Fernsehsendungen und Internetauftritt (wie beispielsweise im oft zitierten Fall von "Big
Brother") lässt sich nur schwer mit Begriffen fassen, die der Tradition von Sendeformen
und Genres entstammen (vgl. Mikos 2000a: 172): Die Grenzen verschwimmen.
Das Fernsehen "saugt in seinen Sendeformen und Formaten, insbesondere in der
Unterhaltung, die Formen anderer Medien auf" (Mikos 2000a: 173). So werden in "Big
Brother" Elemente aus Spielshows und Serien ebenso aufgegriffen wie Formen aus dem
Internet und Elemente der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die heutigen Produktionen aus
dem Bereich des "Reality TV" stellen sich bei näherer Betrachtung als komplexes
Medienphänomen dar, welches Fernsehen, Zeitschriften, Internet, Spiel und begleitende
Marchandising-Artikel kombiniert (vgl. Mikos 2000a: 174f.). Damit hat sich auf dem
Markt des Realitätsfernsehens eine rasante Entwicklung vollzogen. Diese hat deutlich
gemacht, dass das Fernsehen der 90er Jahre mit der Vermischung verschiedener Gattungen
und Genres zu einem neuartigen Gesamtkonzept ein Charakteristikum unserer Zeit ist (vgl.
Lücke 2002: 49). "Nicht umsonst ist der Begriff ,Hybridgenre' entstanden, um neue
Sendungen zu beschreiben, nicht ohne Grund wird es immer schwieriger,
Gattungsschemata zu finden, die neu entstandene Sendungen einwandfrei einer Gattung
bzw. einem Genre zuordnen" (Lücke 2002: 49). Die Befürchtung von Walitsch (1995: 30),
welcher die zukünftige Entwicklung hin zum "modernen" "Reality TV" mit den Worten
"härter, grausamer, brutaler" vorhersagte, hat sich also nur zum Teil bestätigt - am ehesten
noch im Hinblick auf das "klassischen" "Reality TV". Vielmehr weist das Genre in der
heutigen Zeit eine Vielseitigkeit auf, die analytisch nur schwer einer Kategorisierung
unterworfen werden kann.
2.6 Modernes "Reality TV" im deutschen Fernsehen: Einige Beispiele
Als Beispiel kann die Sendung "Girlscamp" erwähnt werden, die von SAT1 als schärfere
Antwort auf "Big Brother" bezeichnet wurde. Grundsätzlich besitzt "Girlscamp" viele
Ähnlichkeiten mit den Spielregeln von "Big Brother" (vgl. Lücke 2002: 87). Die
beliebtesten Teilnehmerinnen werden auch hier per Telefonvoting durch die Zuschauer
bestimmt, die übrigen Frauen mussten sich in einem "Kickout" der Abwahl stellen.
Aufmischen sollte die Sendung des "Boy of the week", welcher versuchen musste, eine der
Frauen für sich zu gewinnen. Das Konzept war allerdings bei weiten nicht so erfolgreich -
"Die Frauen faulenzten, zogen sich ihre BHs unterm T-Shirt an, [...] zu Sexszenen oder
Annäherungen zwischen einem von ihnen und einer der Frauen kam es nicht" (Lücke
Eine andere Kombination geht die Sendung "Popstars" ein, welche zwischen November
2000 und März 2001 auf RTL2 ausgestrahlt wurde. Diese stellt eine Mischung aus einer
klassischen Dokumentation und einer neuartigen "Reality Soap" dar, die anhand des
Kriteriums "künstliches soziales Setting" oder "gewohntes Umfeld" keine klare Trennung
mehr zulässt (vgl. Lücke 2002: 76). "Auf den ersten Blick ist es eine "Reality Soap", denn
"zunächst hat das Auswahlverfahren beim Casting Elemente einer Game Show mit
Turniercharakter [...]" (Lücke 2002: 77). Die ausgewählten Frauen müssen jedoch nach
erfolgreicher Wahl das gewohnte Umfeld verlassen, um zusammen in ein Haus zu ziehen -
also eine künstliche Umgebung. "Junge Frauen, die sich vorher nicht kannten, werden aus
ihrem Alltag gerissen" (Lücke 2002: 78). Auch hier handelt es sich deshalb um einen
"Hybriden" - eine eindeutige Zuordnung ist nicht mehr möglich.
Ebenfalls kann an dieser Stelle das Internetfernsehen "NakedNews" erwähnt werden,
welches auf geschickte Art und Weise Elemente aus unterschiedlichen Genres mit jenem
der bewährten "Nachrichten" verschmilzt und damit sicherlich zum "modernen" "Reality
TV" gezählt werden kann.
2.7 Kritikpunkte am "modernen" "Reality TV" im Hinblick auf das
Qualitätsverständnis der Medienunternehmen
Die bisherigen Ausführungen stellten die Entwicklung von den Anfängen des Fernsehens
über die ersten Unterhaltungssendungen hin zum "klassischen" und "modernen" "Reality
TV" dar. Als Folge der Kapitalisierung der Medienindustrie, eine Entwicklung, die seit der
Dualisierung nicht mehr wegzudenken ist, suchten die TV-Sender immer neuere
Programmformen, um eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen und damit die
werbetreibende Industrie für sich zu gewinnen. Doch welche Folgen hat diese Entwicklung
auf die Qualität der publizistischen Endprodukte?
Wie in einer pluralistischen Gesellschaft nicht anders zu erwarten ist, gibt es "weder in
Theorie noch Praxis einen verbindlichen Konsens darüber, was denn die zentrale Funktion
eines Medienunternehmens sei [...]" (vgl. Karmasin 1998: 321) - und wie diese zu
erreichen ist. Ebenso wenig herrscht Einigkeit darüber, was mediale Qualität im Hinblick
auf kommunikative, ethische, ökonomische, politische, journalistische und publizistische
Eigenschaften ausmacht (vgl. Karmasin 1998: 321f.). Eines scheint bewiesen: Die
kapitalistische Ausrichtung der Medienunternehmen beeinflusst nicht unerheblich das
publizistische Endprodukt (vgl. Meier 2003b: 16). Da im Zusammenhang mit Reality TV
immer wieder von mangelnder Qualität oder einer "Beschädigung des Realitätsbegriffs
[...]" (Waltisch 1995: 31) gesprochen wird, sollen die folgenden Unterkapitel aufzeigen,
mit welchen Qualitätsbegriffen sich TV-Sender auseinander setzen müssen. Im
nachfolgenden dritten Teil wird kulturtheoretisch argumentiert werden, dass solche
Definitionen allesamt an Bedeutung eingebüsst haben.
2.7.1 Zweckrationale (ökonomische) Qualität
Aus ökonomischer Sicht hat ein mediales Produkt dann Qualität, wenn es bestimmten
zweckrationalen Bedingungen genügt, beispielsweise soll es instrumentell nutzbar,
verkaufbar oder profitabel sein (vgl. Karmasin 1998: 322). Qualitativ gut ist ausserdem nur
dann etwas, wenn es wertvoll ist für die (subjektive) Nachfrage der Rezipienten. Steigt
diese an, zeigt sich automatisch das Interesse der werbetreibenden Wirtschaft.
Entscheidende Faktoren sind dabei u.a. die Reichweite und der Marktanteil
Medienunternehmen sind demnach darum bemüht, Produkte im Markt zu platzieren, die
der Werbemarkt akzeptiert - es geht ihnen also um die ökonomische Qualität (vgl.
Karmasin 1998: 324). Folglich verlieren Produktionen, die nicht diesen Anforderungen
entsprechen (können), ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Weitere Kriterien bilden die
bereits erläuterten Faktoren der produktiven- und allokativen Effizienz, die es auf dem
höchst möglichen Niveau zu erreichen gilt. Profit und Einkommen stehen also klar im
Vordergrund (vgl. Karmasin 1998: 324). Ebenso wie die "klassischen" "Reality TV"-
Formate entsprechen auch die "modernen" Varianten wie "Big Brother" in hohem Mass
diesen Bedingungen. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass alle Sendungen aus dem
Genre des "Reality TV" unbedingt - in ökonomischer Sicht - erfolgreich sind (z.B.
"Girlscamp").
2.7.2 Ästhetische und inhaltliche (ethische) Qualität
Ein Bezugspunkt der Qualität in ästhetischer Hinsicht ist die Form bzw. die äussere
Erscheinung - also nicht die Funktion. Qualität herzustellen heisst demzufolge, in
systematischer Hinsicht etwas Schönes, Stilsicheres oder Geschmackvolles
hervorzubringen, d.h. im Sinne der Unternehmensästhetik zu produzieren (vgl. Karmasin
1998: 327f.). Die ethische bzw. moralische Qualität eines Produktes wird am Grad der
Übereinstimmung mit den Normen und Werten journalistischer oder medialer Ethik
gemessen. Hier sind Begriffe wie Gerechtigkeit, Freiheit, Unabhängigkeit, Objektivität und
Verantwortung zu nennen. Durch dieses Handeln generieren die Medienunternehmen eine
(mediale) Realität, die natürlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen muss (vgl.
Karmasin 1998: 327). Eben deshalb scheint die Forderung nach Pluralität und Transparenz
von enormer Bedeutung zu sein. Diese kann als Unternehmensethik verbindlich
zusammengefasst und umgesetzt werden.
Besonders kritisch scheint uns an dieser Stelle die Tatsache zu sein, dass Sendungen des
"Reality TV" explizit versuchen, "die Realität" eins zu eins darzustellen - zumindest in der
"klassischen" Auffassung. Dies wird aber, allen Bemühungen zum trotz, wohl nie erreicht
werden können.
Karmasin macht an dieser Stelle keine Unterscheidung zwischen der inhaltlichen und der
unserer Meinung nach ebenfalls vorhandenen "journalistischen" Qualität. Hier wäre eine
Differenzierung sicher angebracht, da ein journalistisch "schlechtes" Produkt (stilistisch)
nicht unbedingt auch inhaltlich (Informationsgehalt) schlecht sein muss.
2.7.3 Die TV-Sender zwischen diesen Qualitätsbegriffen
Die TV-Sender stehen also zwischen diesen Qualitätsbegriffen, die von verschiedenen
Anspruchsgruppen in unterschiedlichen Dimensionen an das Medienunternehmen heran
getragen werden (vgl. Karmasin 1998: 328). Problematisch ist dabei die Tatsache, dass aus
ökonomischer Perspektive nur "ökonomische Zielsetzungen rationale Berechtigung im
Medienunternehmen [haben/R.K]" (Karmasin 1998: 329). Denn nicht alles, was
publizistische Qualität hat, ist auch ökonomisch sinnvoll und nicht alles, was ökonomisch
sinnvoll wäre, hat automatisch publizistische Qualität. Tendenziell ist also mit Konflikten
und Inkompatibilitäten zwischen diesen Ansprüchen zu rechnen.
Dem Unternehmen als Wirtschaftseinheit kommt demnach die (problematische) Aufgabe
zu, einen Qualitätsbegriff bzw. -anspruch zu formulieren, der einen Kompromiss zwischen
der publizistischen Qualität auf der einen und der ökonomischen Qualität auf der anderen
Seite darstellt: die mediale Qualität (vgl. Karmasin 1998: 330). Vor allem die finanzielle
Situation der verschiedenen Medienunternehmen ist ein entscheidender Einflussfaktor.
Beispielsweise zeigt die Situation der, vor allem durch private Anbieter, unter Druck
geratenen öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen deutliche Auswirkungen auf die
publizistische Qualität. Wie Heinrich (1994: 66) feststellt, verursacht die Produktion
publizistischer Qualität in ihrer Gesamtheit Kosten, die durch allgemeine
Kosteneinsparungen zu einer Qualitätsverschlechterung führen. Ob diese aber vom
Publikum realisiert wird, ist nicht Ausschlag gebend. Wichtig ist aber die Tatsache, dass
die Medienunternehmen mit ihrem Spagat zwischen ökonomischer und publizistischer
Qualität eine enorme Verantwortung tragen, vor allem im Hinblick auf die
Ökonomisierung von relevanten Informationen (vgl. Heinrich 1994: 331).
Innerhalb der Medienunternehmen finden dadurch Prozesse statt, die durchaus zu
Konflikten führen und sich schliesslich konkret auf das publizistische Endprodukt
auswirken können. So werden sich im Redaktionsalltag beispielsweise die Ansprüche der
Eigentümer nicht immer mit den (Selbstverwirklichungs-) Interessen der Journalisten
decken (vgl. Heinrich 1994: 332). Die möglichst effiziente Nutzung der ökonomischen
Ressourcen aber wird wohl von beiden Seiten unterstützt. Dadurch ist der publizistische
Wettbewerb also vom ökonomischen genau so wenig zu trennen wie ökonomischer Erfolg
von publizistischem.
Karmasin (1998: 333) kommt zum Schluss, dass weniger die Frage entscheidend ist, ob
sich Ökonomie und publizistische Qualität grundsätzlich ausschliessen, sondern vielmehr,
bis zu welchem Grad sie sich gegenseitig behindern. Es geht dadurch jeweils um eine
"situativ zu leistende Güterabwägung zwischen Normen der Publizistik, der Ökonomie und
der Ethik." Zentral ist somit, dass alle Ansprüche in unternehmerischen Entscheidungen im
"erfolgsrationalen, im unternehmensstrategischen, wie im gemeinwohlverträglichen Sinne"
gegeneinander abgewogen werden (vgl. Karmasin 1998: 333). Es stellt sich allerdings die
Frage, in wie weit der Anspruch besteht, beispielsweise mit "Big Brother", ein hohes
publizistisches Niveau zu erreichen. Diese durchaus wünschenswerten Eigenschaften
stehen bei Produktionen im Bereich des "modernen" "Reality TV" wohl klar im
Hintergrund. Vielmehr ist unserer Meinung nach der Konkurrenzkampf um die höchste
Einschaltquote das entscheidende Kriterium. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen
Entwicklung werden Fragen nach der Qualität zunehmend bedeutungslos, wie wir im
nachfolgenden dritten Teil sehen werden.
2.8 Zusammenfassung zur Entstehung des "Reality TV" und mögliche
Szenarien für dessen Weiterentwicklung
Die beschriebenen Veränderungen im Fernsehen führten dazu, dass sich bestehende
Programmformen veränderten. Dies betrifft vor allem die Genres der Nachrichten oder
Magazine, aber auch Serien oder Daily Soaps. Neben die etablierten Kultur- und
Politikmagazine traten immer häufiger bunte, am Alltagsleben der Zuschauer ausgerichtete
Themen-Magazine (vgl. Lücke 2002: 19). Durch diese Vermischung von Realität und
Fiktion sowie Information und Unterhaltung konnte sich das Genre des "Reality TV"
entwickeln und ermöglichte damit die Entstehung weiterer Programmformen, welche
Elemente aus allen Kategorien in sich vereinen würden. Diese "Hybride" lassen sich nicht
in herkömmliche Klassifizierungen einreihen und wurden in diesem Kapitel mit dem
Stichwort des "modernen" "Reality TV" zusammengefasst.
Die Veränderungen im TV-Programm im vergangenen Jahrzehnt lassen sich hauptsächlich
auf die Einführung des dualen Rundfunksystems zurück führen. Sowohl die TV-Sender
wie auch alle anderen Medienunternehmen sind spätestens seit der Dualisierung dem
Prozess der Kapitalisierung ausgesetzt, die einen massgeblichen Einfluss auf die
Entwicklung von neuen Programmformen ausübt(e). Vor allem in inhaltlicher Hinsicht ist
diese Entwicklung problematisch. Dieser Bereich sollte von der Medienforschung in der
Analyse des Genres zukünftig noch stärker behandelt werden, da vor allem die
publizistische bzw. inhaltliche Qualität massgeblich unter dieser Kapitalabhängigkeit in
Mitleidenschaft gezogen wird. Wie gezeigt werden konnte, formten die zahlreichen vor
allem aus den USA stammenden Importe von Sendungsideen, die deutschen und
schweizerischen TV-Sender, wobei "Reality TV" das wohl beste Beispiel darstellt. "Die
deutsche Fernsehlandschaft hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Boom der
non-fiktionalen Programmangebote erfahren, zu dem vor allem [...] die Formen des
,Reality TV' beigetragen haben" (Lücke 2002: 138f). Während sich in den USA momentan
der Trend eher in die gegensätzliche Richtung zu bewegen scheint, bleibt abzuwarten, ob
dies auch in Europa der Fall sein wird. Vor allem darf man auf die zukünftigen Formen
von Sendungskonzepten gespannt sein, die in den kommenden Jahren entstehen werden.
Wie Lücke (2002: 139) festhält, ist bereits ein nächstes Hybridgenre aus "Science Fiction"
und "Real Life Soap" in Sicht: "Die Sendung ,Space Commander', die junge attraktive
Freiwillige unter ständiger Kamerabeobachtung zusammen ins All schiesst...". Auf jeden
Fall dürfen sich die Rezipienten und mit ihnen die werbetreibende Industrie auf immer
extremere Formen des "modernen" "Reality TV" gefasst machen. Das im übrigen live
übertragene Spermienrennen auf BBC steht uns kurz bevor. Die Medien setzen seit der
Dualisierung konsequent um, was in der Kulturtheorie schon lange Gesetz war: Alles ist
Grenzenlos und "Anything goes"...
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