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Im Herzen seines Volkes

Germana


Im Herzen seines Volkes

Rede zum 150. Todestag Wolfgang Amadeus Mozarts

4. Dezember 1941

Es ist die höchste Ehre für eine Nation, große Söhne und bedeutende Männer zu besitzen, ihr Erbe treu und fürsorglich zu pflegen und zu verwalten und ihnen an ihren Gedenktagen den Ruhm und den Dank darzubringen, auf die sie vor der Geschichte Anspruch erheben können. Denn sie sind in ihrem steilen Höhen­flug in die ewige Gültigkeit Repräsentanten des Volkes und Künder seiner unvergänglichen Schöpferkraft. Von ihnen geht das leuch­tende Licht aus, und aus ihrem Wirken lebt die Welt. Eine Nation, die ihre großen Söhne vergißt, verdient nicht mehr, solche zu besitzen. Dadurch, daß sie mit ihrem völkischen Schöpfertum über ihr eigenes Volkstum hinauswachsen, versinnbildlichen sie am stärksten die geistige Zeugungskraft eines Volkes und führen sie über die Jahrhunderte hinweg den Beweis für seine immerwährende Jugend und Unvergänglichkeit. Sie sind mehr als Fürsten, Könige und Kaiser die Verkörperung der Majestät eines Volkes. Ihr Wirken vollzieht sich aus Gottes Gnade und reicht deshalb über Epochen des Niedergangs und des Aufstiegs einer Nation w 18318l111s eit hinaus. Niemand vermag sich auf die Dauer der magnetischen Anziehungskraft ihres geistigen und künstlerischen Erbes zu ent­ziehen. Sie sind der Urstoff der nationalen Lebensfähigkeit. Sie bleiben und werden niemals vergehen.



Wenn auf einen der großen Söhne unseres deutschen Volks­tums diese Worte passen, dann auf Wolfgang Amadeus Mozart, dessen 150. Todestag wir heute und morgen in Wien namens und

im Auftrag des ganzen deutschen Volkes mit einer tiefen Ver­neigung vor seinem unsterblichen Werk begehen. Wo wäre je in unserer Geschichte, sei es auf welchem Gebiet auch immer, ein Name so kometenhaft aufgestiegen, wo hätte je ein solcher mit gleichbleibender Stärke und nie verblassend in seiner Leuchtkraft über drei Jahrhunderten gestanden? Man hat bei ihm fast den Eindruck, daß ein rätselhaftes Geschick ihn gleich nach seinem Tode körperlich wieder in das Reich der wesenlosen Schatten zurückgenommen habe, um ihn in seiner unvergänglichen, heute wie damals so jungen Musik um so strahlender in Erscheinung treten zu lassen. Wir wissen nicht einmal, wo er zur Ruhe gebettet wurde. Aber Abend für Abend schwingen seine Melodien durch die Opernhäuser und Konzertsäle der ganzen Welt, erheben sie die Herzen ungezählter Menschen in allen Ländern und auf allen Erdteilen. In bebender Freude und wildem Schmerz entrücken sie die Seelen der Beglückten in eine bessere Welt, die nur noch aus Wohlklang und Harmonie besteht.

Schon in der Stunde, in der man ihn in Wien in einem Armen­grab verscharrte, teilte er seinen ewigen Reichtum an die Mensch­heit aus. Was damals die Hohen und Gebietenden an ihm sün­digten, das hat sein Volk, aus dem er hervorging und dessen ewiges Wesen er, wenn unbewußt, so doch um so stärker, zum Klingen brachte, an ihm wiedergutgemacht. Man forsche nicht mehr nach dem Wesen des Genies: hier liegt es rein und makellos mit all seinen mystischen Geheimnissen vor unseren Augen. Schöpfe­rische Zeugungskraft aus der Überfülle der inneren Gesichte heraus, grenzenlose Gestaltungsfreude, diszipliniert und gebändigt durch künstlerische Zucht, durch Energie und Fleiß, ein Leben in ewiger Armut, aber ebenso ein Schaffen in ewigem Reichtum - das ist Mozart.

Wenn man seinen Namen nur hört, dann klingt gleich Musik auf, dann spannen unvergängliche Melodien ihre goldenen Bögen,

dann lebt man, wie von Zauberhand aus der Welt der irdischen Gebundenheiten versetzt, in der hellen, klaren und so wohltuenden Luft seiner Einfachheit, der Primitivität seines künstlerischen Empfindens, der Subtilität seiner musikalischen Ausdrucksformen, dann hört man wie von Engelsstimmen gesungen das Jubilieren seiner Chöre, den weichen und betörenden Gesang seiner Geigen und Celli und den vollen und tragenden Grundton seiner Blas­instrumente. Nichts davon ist in den 150 Jahren, da er von den Menschen ging und ihnen nur seine Musik zurückließ, alt oder auch nur historisch geworden. Seine Opern beherrschen heute noch den Spielplan unserer Theater, als wären sie gestern geschrie­ben. Seine Sinfonien erklingen in unseren Konzertsälen frisch wie am ersten Tag, und man ist immer wieder versucht, sich seine Autorschaft erneut durch das gedruckte Programm bestätigen zu lassen. Seine Volkslieder werden heute wie damals von unserer Jugend gesungen, und ebenso wie das größte musikalische Genie, das je die Erde trug, hätte ein fahrender Sänger sie schreiben können. Wo hat die Nation sich je vor einem gleichen Gottesgnadentum verneigt ?

Man mag die Frage aufwerfen, ob ein staatlicher Festakt, der ihm an seinem 150. Todestag dargebracht wird, vor dem gewaltigen Geschehen unserer Tage Bestand haben kann. Unsere Herzen sagen uns, daß wir diese Frage bejahen dürfen. Denn ihn brauchen wir nicht aus dem Staub der Vergessenheit herauszuheben. Seine Musik klingt allabendlich über Heimat und Front. Sie gehört mit zu dem, was unsere Soldaten gegen den wilden Ansturm des öst­lichen Barbarentums verteidigen. Sie ist unser, stärker als irgendein anderes künstlerisches Werk der Vergangenheit und Gegenwart in den Besitz der breitesten Massen unseres Volkes übergegangen.

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum wir zwischen der klingenden Welt, in der er lebte und wirkte, und der harten und dröhnenden Welt, in der wir leben und deren Chaos wir in Zucht

und Ordnung verwandeln wollen, keinen Gegensatz empfinden. Die eine ist unser Schicksal, die andere unsere Sehnsucht. Die eine wurde uns aufgebürdet, nach der anderen geht unser ge­heimes Wünschen und Verlangen. Es ist die Welt der Erfüllung, die Welt der Harmonie und der ewigen Schönheit. Wenn die Kunst die Aufgabe hat, die Herzen der gequälten Menschen zu erheben und sie in eine bessere Welt zu entrücken, wenn sie uns in einem Leben voll von Härten und Widersprüchen das Ideal beglückendster Vollkommenheit zeigen oder doch ahnen lassen soll, wie groß ist dann die Künstlerschaft dieses Genies! Man müßte eine neue Sprache erfinden, um ihr mit Worten gerecht zu werden.

Wie stolz können wir alle sein in dem Gedanken, daß dieser Name unser ist! Unser Volkstum hat ihn geboren, und unser Volkstum trägt ihn heute noch. Es ist seine Welt, in der wir leben, und es war unsere Welt, in der er lebte. Wie geborgen fühlen wir uns in der einfachen Häuslichkeit der kleinen Wohnung, in der er zu Salzburg geboren wurde! Mit welcher stolzen, fast familiären Anteilnahme verfolgen wir seinen Weg des Aufstiegs, begleiten ihn auf seinen Reisen nach Paris, London und Italien, sehen wir ihn als Dreizehnjährigen bereits als Mitglied der Musikakademie in Bologna, entdecken ihn mit seinen vierzehn Jahren als erz­bischöflichen Konzertmeister in Salzburg, leiden mit ihm in seinem erfolglosen Ringen in Mannheim und Paris, übersiedeln mit ihm 1779 nach Salzburg und 1781 nach Wien, wo er zehn Jahre später an einem kalten und unwirtlichen 5. Dezember seine Augen, die auf Erden schon gesegnet waren, das Ewige zu schauen, für immer schloß.

Welch ein künstlerisches Schaffen liegt in diesen knappen Daten eingeschlossen! Welch eine unvorstellbare musikalische Konzen­trationskraft befähigt diesen jugendlichen Genius, in knapp zehn Jahren Meisterwerke hinzuwerfen, die von einer mühe- und

schwerelosen, nie erschlaffenden Inspiration eingegeben zu sein scheinen! 40 Sinfonien, 31 Serenaden, 25 Klavierkonzerte, 8 Violin­konzerte, 26 Streichquartette, 42 Violinsonaten und dazu noch eine Fülle von vokalen und instrumentalen Werken entfließen neben seinen Opern, die heute noch das Repertoire unserer Theater maßgebend bestimmen, seiner Feder. Es ist gleichsam, als säße ein Gott hinter ihm, um angesichts eines bald nahenden Endes seine Hand zu beflügeln.

Wenn auf irgendwen, dann paßt auf sein Werk das Wort, daß deutsch sein klar sein heiße. Mozart vereinigt in sich die schönsten Seiten deutschen Wesens. Als Beherrscher der vollendetsten musi­kalischen Form beschränkt er sich nicht darauf, nur für bevor­zugte Stände und Kenner artistischer Musik zu schreiben; er ist ein Volkskünstler in des Wortes bester Bedeutung. Wer weiß heute noch, daß beispielsweise die Melodie zu dem Lied: "Üb immer Treu und Redlichkeit" von ihm stammt ? Ihr volkstümlicher Geist lebt in seiner ganzen Musik. Viele seiner Arien gingen in den vollen Besitz unseres Volkes über.

Mozarts Schaffen fällt in eine Zeit politischer und wirtschaftlicher Zerrissenheit des Reiches. Damals lebte der Künstler im allge­meinen fern von staatlicher Fürsorge und Anteilnahme. So hoch man ihn manchmal in seinem Leben ehren mochte, er endete fast unbekannt, um durch seine Kunst in das ewige Leben einzugehen.

Vor seinem Genius verneigt sich heute das deutsche Volk und mit ihm die ganze Welt. Seine universale Erscheinung repräsentiert die Kultur des Abendlandes in einem einmaligen Umfang. Er gehört uns, aber ebenso gehört er der Welt.

Wenn ich mich heute, am Vorabend seines 150. Todestages, zum Sprecher des deutschen Volkes mache, so rede ich zugleich im Namen der Kulturmenschheit. Er ist als Deutscher überall zu Hause, und seine Melodien werden singen und klingen, solange das Licht der Welt leuchtet.

Es gibt nichts Schöneres auf Erden, als im Wirken eines begnadeten Menschen das Walten der Göttlichkeit zu verspüren. Bei Mozart wird uns dieser höchste Genuß in verschwenderischster Fülle zuteil. Ihm heute unsere tiefe Verbundenheit und eine aus allen Kammern unseres Herzens strömende Dankbarkeit zu bekunden, ist uns nicht nur eine amtliche Pflicht, sondern eine menschliche Freude und Genugtuung. Er gehört uns und wird uns ewig gehören.

Wenn morgen über der Stadt Wien, der er seine besten Jahre schenkte, in seiner Todesstunde die Glocken läuten, dann wird die ganze musikalische Welt bei ihm sein. Nur wenige begleiteten ihn, als man ihn bei strömendem Regen zu Grabe trug. Aber er hinterließ mehr als das, was man hier in den Schoß der mütter­lichen Erde zurückbettete: ein unsterbliches Werk, das die Zeiten überdauern wird. Seine Körperlichkeit ist dahin, niemand weiß, wo seine Gebeine bleichen; aber seine Musik lebt und wird weiter leben, weil sie an der sichersten Stelle Platz gefunden hat, an der die Heiligtümer einer Nation aufgehoben werden können: Im Herzen seines Volkes.


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