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Schatten über dem Empire

Germana


Schatten über dem Empire

22. Februar 1942

Mr. Cripps, der sich nach seiner amtlichen Tätigkeit in der Sowjetunion aus einem englischen Botschafter in Moskau in einen Abgesandten Stalins in London verwandelt hat und damit dem gegenwärtig dort gesteuerten Churchillkurs weitestgehend ent­gegenkommt, traf kürzlich in einer Rundfunkrede, die wegen ihrer zynischen, gegen Europa und seine neue Ordnung gerichteten Tendenz in der ganzen Welt und auch in Großbritannien erheb­liches Aufsehen erregte, die erstaunliche Feststellung, daß das englische Volk sich in keiner Weise des Ernstes und der Not­wendigkeit der Situation, in der es zur Zeit lebe, klar sei und einen Optimismus pflege, der in der Lage selbst keinerlei Rechtfertigung finde. Uns kann das nicht verwundern. Seit Mr. Churchill den uneingeschränkten Diktator über England spielt, hat sich in London eine Taktik der Nachrichtenpolitik herausgebildet, die weniger die schweren Verluste, von denen das britische Weltreich seit Beginn dieses Krieges in ununterbrochener Folge betroffen wurde, ver­schweigt, als sie vielmehr in ihrem Wert und in ihren Auswirkungs­möglichkeiten planmäßig zu verniedlichen und zu bagatellisieren versucht. Das mag für die moralische Haltung des englischen Volkes in diesem 757h722h Kriege gewiß nicht ganz ohne Sinn und Erfolg sein, züchtet aber andererseits eine Art von Zweckoptimismus, der auf die Dauer den nüchternen Blick für die Tatsachen vollkommen trübt und damit eine Entwicklung heraufbeschwört, die über kurz oder lang zur schwersten Krise des britischen Weltreichs führen muß.



Auch anderwärts ist man vielfach geneigt, einer solchen Beweis­führung Gehör zu schenken. Man tritt den nicht mehr bestreit­baren militärischen Erfolgen der Achsenmächte, die nun allmählich anfangen, das britische Empire in seinen Grundfesten zu erschüt­tern, mit bequemen, weil altgewohnten Entschuldigungen entgegen etwa der Art, daß Großbritannien noch niemals in einem Kriege unterlegen sei, daß seine wirtschaftliche Kraft und seine welt­weiten Möglichkeiten unerschöpflich sind, daß es immer die erste Partie verliere, um dann bei der zweiten richtig auszuholen, und ähnliches. Ganz abgesehen davon, daß das im einzelnen gar nicht stimmt und England in seiner Geschichte fast ebenso viele Kriege verloren wie gewonnen hat, darf andererseits auch nicht übersehen werden, daß der Bestand des britischen Weltreichs dann im Ernst als gefährdet gelten muß, wenn es an seinen Wurzeln getroffen wird und seine über den ganzen Erdball verstreuten Teile aus dem Mutterlande nicht mehr die Kraftströme in Empfang nehmen können, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer imperialen Funktion nötig haben. Auch das britische Weltreich ist nicht für die Ewigkeit bestimmt. Die Geschichte der Menschheit kennt eine ganze Reihe ähnlicher Bildungen, die aber immer dann zerfielen; wenn die Energien, die sie begründet hatten, nicht mehr auch zu ihrer Ver­teidigung zur Verfügung standen. Und wieweit das noch der Fall ist, das kann man am leichtesten daran erkennen, ob ihre Ver­treter und Repräsentanten sich über lebenswichtige Verluste mit Illusionen hinwegzutrösten versuchen und Grundlagen ihres Be­standes, die Resultate der Tapferkeit waren, auch als Ergebnisse einer feigen und lässigen Nachgiebigkeit wahrhaben möchten.

Man wolle uns nicht mißverstehen: auch der Fall von Singapur beispielsweise, der die englische Öffentlichkeit in die tiefste Bestürzung versetzt hat, bedeutet natürlich noch nicht das Ende des britischen Weltreichs. Aber er ist eine Etappe auf diesem Wege. Und der Verlust dieser Inselfestung, von der man in London

noch bis zur letzten Stunde glaubte, daß sie uneinnehmbar sei, ist ja nicht der einzige, den England in diesem Kriege erlitten hat. Er stellt nur ein Glied dar in der langen Kette aufeinanderfolgender Rückschläge, für die Mr. Churchill in seinem für die britischen Interessen geradezu verbrecherischen Dilettantismus den techni­schen Ausdruck der "glänzenden Rückzüge" geprägt hat; und in ihrer Gesamtheit gesehen, können sie schon auch dem empire­gläubigsten Engländer einiges Grauen verursachen.

Es ist immer sehr dienlich, bei politischen Betrachtungen, die einen größeren Komplex oder eine umfassendere Entwicklung betreffen, hin und wieder wie ein Maler bei seiner Arbeit einige Schritte vom Bild zurückzutreten und die Gesamtlage mit halb­geschlossenen Augen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Selbstverständlich hat Mr. Churchill recht, wenn er erklärt, daß England nicht heute untergehen werde, weil es gestern Singapur verloren hat. Aber das behauptet ja auch niemand, und darum geht es auch gar nicht. Es wird vielmehr von uns die These vertreten, daß das britische Weltreich sich während des ganzen Krieges trotz aller Churchillschen Beschönigungsversuche auf der abschüssigen Bahn eines dauernden Rückzuges befindet, daß es eine wichtige Machtposition seines imperialen Lebens nach der anderen aufgibt und man mit einiger Gewißheit prophezeien kann, daß eines Tages der Augenblick eintreten wird, in dem es eine unerläßlich not­wendige Voraussetzung seines Bestandes verliert und ihm daran der Atem ausgeht. Es kann auch in keiner Weise die Tatsache als Beweis dagegen angesehen werden, daß das verhältnismäßig lange dauert. Weltreiche stürzen weder in Tagen noch in Wochen oder in Monaten. Sie leben manchmal aus der Beharrungskraft heraus noch eine geraume Zeit, wenn sie geschichtlich gesehen bereits abgedankt haben. Und das erscheint uns heute in gewissem Um­fange bei England der Fall zu sein.

Man vergegenwärtige sich nur einmal, für welche Ziele Groß-

britannien im September 1939 dem Reich den Krieg erklärt hat, und vergleiche damit, für welche Ziele es heute zu kämpfen ge­zwungen ist, und man wird verstehen, was wir meinen. Damals wollte es verhindern, daß Danzig zu Deutschland kam und das Reich durch eine Autobahn über den Korridor eine Verbindung mit seiner abgeschnittenen Provinz Ostpreußen erhielt. Es wäre in jenen spannungsreichen Tagen geradezu absurd gewesen, sich vorzustellen, daß Großbritannien nach zweieinhalb Jahren Krieg um Indien zittern müßte. Das meiste von dem, was England im September 1939 als Voraussetzung seiner nationalen Sicherheit empfand, hat es unterdes längst verloren. Unsere gefährdete Flanke im Norden ist abgedeckt. Die Niederlande und Belgien fallen als Aufmarschglacis gegen den europäischen Kontinent weg. Der britische Festlandsdegen Frankreich ist zerbrochen, die Be­drohung der Achsenmächte aus dem Südosten endgültig aus­geschaltet. Die Sowjetunion besitzt nicht mehr die Kraft, das Kriegsglück für die Feindseite zu wenden. Englands Transport­wege sind auf allen Weltmeeren gefährdet. Die Vereinigten Staaten ringen in Ostasien um ihre Überseepositionen, und das britische Weltreich verliert dortselbst Stützpunkte, die ja doch seit jeher nicht nur von uns, sondern auch und gerade von England selbst als die elementarsten Voraussetzungen der britischen Macht und des britischen Reichtums angesehen wurden. Großbritannien lebt augenblicklich von der Substanz seines in mehreren Jahrhunderten erworbenen nationalen Prestiges, und sein Weltreich steht zum Teil, so absurd das auch klingen mag, nur noch auf dem Papier.

Wie will England angesichts dieser Lage den Krieg nicht ver­lieren? Ein Hinweis auf seine angeblich unerschöpflichen Hilfs­quellen imponiert uns nicht mehr, denn wir wissen wahrscheinlich besser als die meisten Engländer, daß London im gegenwärtigen Stadium der Dinge nur zu einem gewissen Teil überhaupt in der Lage ist, diese Hilfsquellen zu mobilisieren und auszuschöpfen.

Und es ist ja auch kein Anzeichen dafür zu bemerken, daß die für England auf der ganzen Linie rückläufige Tendenz in abseh­barer Zeit umschlagen würde. Im Gegenteil, alles spricht dafür, daß die Zeit, die Mr.. Churchill immer schon als Bundesgenossen für Großbritannien reklamierte, nun langsam anfängt, ins Lager der Achsenmächte abzuschwenken.

Auch der blindgläubigste Anhänger des gegenwärtigen poli­tischen und militärischen Kurses in London wird uns unter vier Augen zugeben müssen, daß der größte Teil der Machtpositionen, die England augenblicklich verliert, von ihm niemals mehr zurück­gewonnen werden kann. Denn das britische Volk hat sie ja, als es sie eroberte, nicht im gleichen Kampf den Großmächten ab­getrotzt, die sie heute in Besitz nehmen, sondern ohne viel Lärm in die Tasche gesteckt, als Japan noch schlief und Deutschland und Italien durch ihren innerpolitischen Einigungsprozeß so in Anspruch genommen waren, daß ihnen nur wenig Zeit übrig blieb, sich um ihre Weltinteressen zu bekümmern. Das ist heute anders. England steht drei Großmächten gegenüber, die bis an die Zähne bewaffnet sind und deren Führungen und Völker genau wissen, daß sie um ihr Leben kämpfen. Wenn Großbritannien nicht die Kraft besitzt, ihnen gegenüber seine ausschlaggebenden Macht­positionen zu verteidigen, woher will es die Kraft nehmen, sie ihnen, wenn es sie einmal an sie verloren hat, wieder zu entreißen?

Wir gehören nicht zu jener Sorte von Opportunisten, die in jedem Sieg gleich die vollkommene Niederlage des Feindes er­blicken und bei einem gelegentlichen Rückschlag auch ebenso schnell bereit sind, die Flinte ins Korn zu werfen. Im ewigen Auf und Ab der politischen Entwicklung der letzten zwanzig Jahre haben wir es uns angewöhnt, den Entscheidungen der Zeit mit einem kühlen Realismus gegenüberzutreten, der uns allerdings auch nicht daran hindert, aus ihnen selbst auch wieder ihre Tendenz und die Gesetze ihres Werdens herauszuspüren. Es liegt uns auch

nicht ob, den Engländern gute Ratschläge zu erteilen oder ihre Sorgen um ihr Weltreich zu den unseren zu machen.

Es hat eine Zeit gegeben, in der wir den Bestand des britischen Empires nicht für ein Hindernis der deutschen Weltgeltung an­sahen. Diese Zeit ist längst vorbei. Mr. Churchill hat die Chance, die England damit in Europa und in der Welt besaß, endgültig verscherzt. Wir stehen dem Prozeß der allmählichen Aushöhlung des britischen Weltreichs mit der kühlen Gelassenheit eines Geschichtskritikers gegenüber, abgesehen natürlich davon, daß, so­lange in London Mr. Churchill und seinesgleichen am Ruder sind, sein Zerfall die Voraussetzung unseres Sieges ist. Aber wären wir heute Bürger des Empires, dann würden wir in der augenblick­lichen Weltlage Symptome einer zunehmenden englischen Krank­heit in Menge feststellen, die uns mit tiefster Besorgnis erfüllen müßten. Wir haben schon öfter dargelegt, daß das englische Volk einmal allen Grund haben wird, Mr. Churchill und seine für das britische Weltreich geradezu verbrecherische Politik mit allen nur erdenklichen Flüchen zu bedenken und zu verabschieden. Wenn das Empire einmal infolge allzu starker Belastungen seiner Lebens- und Atmungsorgane zusammenbricht, dann wird sein augenblick­licher Premierminister den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen können, ihm den Tod bereitet zu haben.

Wir sind uns keinen Augenblick im unklaren darüber, daß er auch nach dem Verlust von Singapur bald wieder - und das ist heute bereits im gewissen Umfange der Fall - Oberwasser haben wird. Seine käufliche Presse ist schon dabei, dem englischen Pu­blikum klarzumachen, daß Singapur nur einen Wert besitze, wenn dort eine Flotte stationiert sei, und da man in den ostasiatischen Gewässern nach dem Verlust der "Prince of Wales" und der "Repulse" nicht mehr über eine nennenswerte Flotte verfüge, wozu brauche man einen Flottenstützpunkt? Mit einer so verlogenen Argumentation kann man natürlich auch einen Toten wieder

lebendig machen; aber trotzdem steht er nicht auf, sondern bleibt tot.

Wir brauchen nach alledem kaum zu übertreiben, wenn wir mit der gebotenen Sachlichkeit feststellen, daß über dem britischen Empire dunkle Schatten stehen. Eine schwindelerregende ge­schichtliche Entwicklung bricht sich Bahn. Sie dauert ihre Zeit, aber sie ist unaufhaltsam. Weltreiche stürzen, Weltreiche sind im Werden.

Danken wir Gott, daß wir kommen, während die anderen sinken.


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