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Wir Sind Helden im Interview

Germana


Wir Sind Helden im Interview

Kreuz und quer stürmen drei verschwitzten Helden ins Zimmer, in dem noch gut eingepackt schon die Sachen vom Thailänder auf dem Tisch stehen. 'Au cool!' ruft Judith und meint damit gar nicht uns, sondern das Essen. Wir erfahren, dass Jean sich eine Erkältung eingefangen hat und deswegen heute nicht dabei sein wird. 'Das ist die offizielle Version - die inoffizielle ist, das Jean morgen aus der Band fliegt!' scherzt Pola. 'Er wundert sich schon die ganze Zeit, warum er Sprechverbot hat und wir sagen immer nur: Jean, das sagen wir dir morgen!' War natürlich'n Witz und wir wünschen ar 424v216e tig gute Besserung!



MTV.de: 'Müssen Nur Wollen' habt ihr als Anti-Hymne deklariert und singt darin 'aber wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich gar nichts wollen. Ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen'. Empfindet ihr es als heldenhaft, nichts zu wollen?
Judith: Wenn man davon ausgeht, dass Heldentum in unserem Sinne eher damit zu tun hat, sein Leben und das von anderen so zu gestalten, dass die Leute glücklich sein können, dann ist Bedürfnislosigkeit - nichts zu brauchen und so wenig wie möglich wollen zu müssen - bestimmt Grundvoraussetzung. Sie macht frei von äußeren Umständen. In 'Müssen Nur Wollen' geht es um Dinge, von denen uns versprochen wird, dass sie glücklich machen. Und dass man sie alle gleichzeitig haben kann, und gleichzeitig machen kann. Das bedeutet eine totale Überforderung! Dieses propagierte Ideal kann in Wirklichkeit niemand erreichen, und die Freiheit, die uns dadurch versprochen wird, ist in Wirklichkeit ein Knebel.

Das Essen zeigt Wirkung. Judith kriegt ganz komische gigantische Zustände und schneidet Gesichter. Scharrrrf!

MTV.de: Was bedeutet Held sein denn konkret für euch?
Mark (lacht): In diesem Fall Teil dieser Musikgruppe zu sein! (ernst): Wir wollen diesen Begriff der Allgemeinheit zurückgeben, denn Held sein ist eigentlich nicht das, was landläufig darunter verstanden wird. Mit dramatischen Situationen und Handlungen hat das nicht zwangsweise zu tun. Wer Held ist oder nicht Held ist soll jeder für sich und das auch jeden Tag entscheiden.

MTV.de: Deutschland ist für euch das Land der begrenzten Unmöglichkeiten.
Judith: Wie aber ehrlich gesagt viele andere Länder auch. Das Land der begrenzten Unmöglichkeiten ist eine Verdrehung des amerikanischen Traums, den wir ja auch alle leben seit dieser Traum zum allgemeinen höchsten Gut erklärt worden ist. Das ist genau der Traum, der mit all seinen hochgesteckten Zielen und Erwartungen unglücklich machen kann.

MTV.de: Habt ihr vor, eure Songs zu übersetzen wenn ihr expandiert?
Judith: Wir überlegen, ob wir eine französische Version von 'Guten Tag' machen.
Pola: Unsere Plattenfirma ist nämlich französischen Ursprungs! Bei uns war es nicht so, dass wir uns zusammengesetzt und überlegt haben, ob wir Englisch oder Deutsch singen wollen. Es waren schon Texte da mit zentralem Thema. Wir haben uns mehr überlegt, wie man die musikalisch umsetzt. Ich kenne auch viele Bands, die sich bewusst die Frage stellen, aber das war bei uns nie der Fall.

MTV.de: Wie habt ihr euch denn eigentlich kennengelernt? Die BZ hat geschrieben, ihr habt euch auf einem Popkurs kennengelernt, und im ME stand, du Judith hast 'ne Annonce augegeben.
Judith (prustet los): WAAAAAS?!! Ausgerechnet der ME. Oh stimmt, da haben wir uns schon mal gewundert! Wir haben uns tatsächlich bei diesem Popkurs in Hamburg kennengelernt. Das ist eigentlich so 'ne Art Sommercamp wo junge Leute, die in irgendeiner Form Musik machen, aufeinandertreffen und verschiedene Workshops machen können. Es war eigentlich sehr lustig, so'n bisschen wie im Feriencamp, nur nicht so altbacken und ohne Tanten.
Pola: Daraus hat sich das Problem ergeben, dass wir alle in verschiedenen Städten gewohnt haben und in der Zeit danach wahnsinnig viel fahren mussten. Das hatte aber den Vorteil, dass wir immer sehr intensiv gearbeitet haben, da die Zeit ja bemessen war.
Judith: Wir verbringen die meiste Zeit in Berlin, können uns jetzt aber nicht wirklich als Berliner Band bezeichnen. Wir beide (deutet auf Pola) sind in Berlin, Mark ist in Hamburg und Jean ist aus Hannover.

MTV.de: Wie entstehen bei euch die Ideen? Judith: Es ist oft so, dass ich ein Thema mit mir herumtrage, manchmal ist es auch nur eine einzelne Zeile, die mich plötzlich überfällt. Richtige Inspirationsmomente habe ich eigentlich kaum - oder relativ selten.

Danny, seines Zeichens Tourmanager, steckt den Kopf zur Tür hinein.

Danny: SOrryy!
Pola, hast du mit jemandem Abitur gemacht, der Helge heißt?
Pola (brüllt los): JAAAAAAAA!! Helge - ist der da?!?! Oh mein Gott!!
Mark (gestellt verdutzt): Pola hat Abitur?
Pola: Der war einer meiner besten Freunde damals!

Pola entschwindet in Begeisterung.

Judith (fährt fort): Manchmal trag ich ein Thema drei Monate mit mir rum und fange irgendwann an, wild in alle Richtungen zu assoziieren und ganz viel zu schreiben! Das mutiert dann so in eine richtige Bastelstunde. Das ist der Teil wo's richtig harte Arbeit wird und wo ich mir echt den Kopf zerbreche, alles wegstreiche und verzweifle und noch mal von vorn anfangen muss. Sehr sehr oft ist es so, dass ich bei manchen Liedern die etwas kryptischer oder traumhafter sind selber gar nicht schnell genug bin um zu verstehen, was ich sagen will. Hinterher schau ich's mir an und denke: Das ist genau das was ich sagen wollte!

Mark (fürsorglich, ganz der Chef vom Dienst): Ist das überhaupt ein hochwertiges Interview wenn wir hier so rumschmatzen? Wir wollen euch nicht das Gefühl geben dass wir uns keine Zeit für euch nehmen. Wollt ihr auch irgendwas essen?

Judiths Reaktion auf das Essen ist uns noch zu frisch im Gedächtnis. Wir lehnen sicherheitshalber dankend ab.

Judith (hat sich auf die Zunge gebissen): OhhhHHhhh - tut das weh!

MTV.de: In Guten Tag geht's um den Ausverkauf der Gesellschaft. Was ist das für eine Vision vom Leben, das ihr zurückhaben wollt?
Judith: Das ist die Vision, von der der ganze Konsum ablenkt. Konsum im Sinne von Konsumgütern, aber auch Konsum von Medien. Ich glaube, dass dadurch Bedürfnisse geschaffen werden, die immer neue Bedürfnisse schaffen. Dass man von dem viel haben wollen total abgelenkt ist von dem, was man eigentlich brauchen würde. Und das ist weniger. Viele Leute arbeiten so viel, dass sie keine Zeit mehr haben, ihr Geld auszugeben. Das Menschenbild, das in den Medien und vor allem in der Werbung verkauft wird, ist eins, das niemand erreichen kann, und bei genauerer Betrachtung auch nicht erreichen will. Viele junge Leute macht das unglücklich und krank, weil sie damit nicht klar kommen. Wichtig ist es, herauszufinden was man wirklich gerne tun möchte, und auch nur selber machen kann, weil es sonst keiner tut. Das muss gar nicht Arbeit sein - Arbeit wird ja generell total überschatzt. Man sollte auch nicht wahllos Träume und materielle Träume anderer Menschen übernehmen, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben.

MTV.de: Was würdet ihr machen, wenn nicht Musik?
Judith: Gute Frage! Ich glaube, ich würde schreiben. Romane oder so
Mark: Wir würden immer Musik machen, aber bei mir ist die Frage leichter zu beantworten, denn ich hab' vor der Band schon ein Jahr als Arzt gearbeitet. Das ist vielleicht eine Form der Inkonti- wie nennt man das?
Judith (unschuldig): Inkontinenz?
Mark (dankbar): der Inkon-ti-nenz! Es ist aber auch ein sehr schöner Beruf.
Judith: Und Pola wäre Fechtlehrer! Oder vielleicht Skilehrer. Auf jeden Fall würde er etwas ganz superes unterrichten.

MTV.de: Würdet ihr euch als typisch deutsche Band beschreiben?
Mark (überlegt laut): Das ist schwierig! Also eine deutsche Band ist PUR genauso wie die Sportsfreunde Stiller für ein bestimmtes Genre
Judith: Im Ausland gibt es Bands, die als typisch deutsch wahrgenommen werden. Großartige und total avantgardistische Künstler wie Kraftwerk oder auch Nina Hagen, die Jahre und Jahrzehnte lang das Bild der deutschen Musik geprägt haben. Das, was die Deutschen selber als typisch deutsch wahrnehmen, geht da relativ weit von weg. Wir denken da ja, es wäre die absolut schrecklichlichten Sachen, die wir so fabrizieren.
Mark: Deutsch sein wird ja immer noch sehr negativ belegt. Es hat auch positive Eigenschaften!
Judith: Auf der einen Seiten die Romantik auf der anderen Seite vielleicht sowas gerades, offenes und unkompliziertes, was irgendwie z.B. auch Nena hatte! Das würde ich, wenn ich hingucken müsste, als typisch für deutsche Bands sehen.
Mark: Eine Motivation KANN es sein, das typisch deutsche durch eigene Musik zu überlagern und umzugestalten. Man kann Sachen in eine Richtung gestalten, die man für gut hält. Wenn wir auf deutsch singen dann kommen direkte Alltagsbezüge auch als solche rüber. Vielleicht könnte das dann von außen als sehr deutsch wahrgenommen werden, so, weil es vielleicht auch sehr rein das ist, wie wir uns fühlen.

MTV.de. Wo habt ihr denn euere Künstlernamen her?
Mark: Soll ich ma erzählen? Ich hab den Namen von meinen Eltern!
Judith: Mark ist echt der einzige von uns, der seinen richtigen Namen behalten hat. Ich hab meinen auch schon relativ lange, ich glaub' seit ich 19 bin. Ich hielt das damals für eine lustige Idee. Die Geschichte von Judith und Holofernes kennt ihr? (Judith täuschte dem Feldherrn Holofernes, der ihre Stadt belagerte, einen baldigen Sieg vor und trennte ihm des Nachts heimlich den Kopf ab.) Ich fand es witzig diese beiden Sozusagen-Kontrahenten in einem Namen zusammenzufassen.
Mark: Pola heißt sowieso Roy mit Nachnamen, und aus Roy wurde dann Pola Roy im Sinne eines Photos (vgl.:Polaroid)
Judith: ..und bei Jean war es tatsächlich so, dass wir den benannt haben. Der hatte einen ziemlich unschmeichelhaften Namen, den er ganz gerne loswerden wollte und dann haben wir gepokert.

MTV.de: Kann Jean echt kein französisch?
Judith: Der kann schon'n bisschen französisch.
Auf unserem Album spricht Jean französisch.
Mark: Ah oui, Aurelie.
MTV.de : Der Song ist cool.
Mark (streng/die Anklage erhebt sich): Woher wisst ihr das? Wo habt ihr den her?!
Judith (beschwichtigend): Die haben doch das Album!
Mark (erleichtert): Achso, ich dachte schon aus dem Internet !

MTV.de: Kommt es oft vor, dass sich Leute eure Songs aus dem Netz ziehen?
Mark: Ja. Für viele Newcomerbands ist es dadurch sehr schwierig geworden, einen guten Plattenvertrag zu bekommen. Die Leute brennen und die Plattenfirmen machen deswegen schlechtere Verträge mit ihren Künstlern. Wir haben Glück gehabt, weil wir eine sehr gute Ausgangsposition hatten. Als wir vor die Plattenfirmen getreten sind, liefen wir bereits im Radio und sogar auf MTV! Bei uns ist es auch so, dass wir mittlerweile von unserer Musik leben können. Das ist ein wichtiger Faktor, den man nicht unterschätzen darf! Es ist nicht so als ob wir wohlhabend wären oder so, aber es ist OK. Auf der anderen Seite haben wir natürlich bei Konzerten den Vorteil, dass die Leute das Album schon kennen, obwohl es noch gar nicht draußen ist.
Judith: Wenn man nur zwei Singles draußen hat, können Konzerte so tödlich sein! Die Leute kennen dann nur den ersten und den letzten Song, und dazwischen stehen sie da wie geblitzdingste Schafe. Wir waren von Anfang an fassungslos, dass die Leute Lieder mitsingen, die's eigentlich nicht gibt.
Mark: In Österreich waren die so dreist, auf Judiths Frage, woher sie die Songs kennen, mit 'Aus dem Internet!' zu antworten. Wie ist das, wenn man sie dann beim Auto fragt, wo sie das herhaben, und sie sagen 'Geklaut', sagt man dann 'Mach weiter' ?!
Judith: Es gibt da schon Unterschiede. Was ich sehr stylisch finde, ist, wenn man Bootlegs austauscht, oder Konzertmitschnitte meinetwegen. Scheiße ist es halt, wenn man sich mit einem Album extrem viel Mühe gibt und zwei Monate dran arbeitet, sich sonst was ausdenkt von wegen Artwork - und dann feststellt, dass es den Leuten scheißegal ist und sie dein Album auf irgendeinem 0815 Datenträger mit sich herumtragen.
Mark: Was man aber nicht unterschätzen darf ist, dass sich viele Leute viele Alben sowieso nicht holen würden, weil sie sich's nicht leisten können. Es ist wichtig zu sehen, dass nicht alle Leute, die die CD brennen, sie sich auch tatsächlich kaufen würden. Was man auch sehen muss, ist dass die Konzerte durch die Brennerei eindeutig angekurbelt werden weil man dadurch einfach mehr Menschen erreicht. Tatsächlich ist die Branche einfach nervös, die haben selber Feuer am Arsch. Da muss man ganz schön mutig sein, CDs 5 Euro billiger rauszuschmeißen.

Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ein atemloser Danny stürmt in den Raum.

Danny: Habt ihr das da draußen gesehen? Die Leute stehen die ganze Straße runter!

Allgemeines Heldenjuhuuu begrüßt diese Ansage. Judith und Mark drängen sich an das bullaugenartige Fenster und versuchen, einen Blick auf die Straße zu erhaschen, was sich ob der äußeren Umstände als ziemlich ergebnisloses Unterfangen herausstellt. Auf dem Tisch ruhen noch ungeöffnete Glückskekse, denen es auf wundersame Weise gelingt, Marks Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Mark: Die nächste Frage möchte ich mit dem Glückskeks beantworten! Wie heißt die Frage?

Wir bemerken ein gewisses Zappeln in den Heldenfüßen und kramen nach dem Fall der Fälle. Unsere zwei Helden öffnen die Glückskekse und lesen vor.

MTV.de: Was möchtet ihr der MTV Generation mit auf den Weg geben?
Mark: Die längste Straße ist die, die nach Hause führt.
Judith: Ohne Wolken und Sturm gibt es auch keine Regenbogen. (überlegt): Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob sie nicht recht haben.
Mark (scherzhaft): Nee..
Das müssen Regenbögen sein. Es heißt ja auch Bögen! (ernsthaft): Jetzt ganz im Ernst! Also total wichtig ist, egal was passiert, dass man mindestens einmal pro Woche drüber nachdenkt, ob man das, was man mag und macht, auch wirklich gut findet. Und ob man es freiwillig macht.


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